Seit Beginn des Jahres 2005 liegt die Verantwortung für das Betreute Wohnen von Menschen mit Behinderungen komplett beim LWV Hessen. Der Neuorganisation dieses expandierenden Aufgabenfeldes gingen die Unterzeichnung mehrerer Vereinbarungen, vor allem aber intensive Verhandlungen mit allen beteiligten Organisationen voraus. Bis gegen Jahresende wurde verhandelt, Zeit brauchte auch das Beitrittsverfahren der Landkreise und kreisfreien Städte. Die Einrichtungen des Betreuten Wohnens wie auch die im Betreuten Wohnen lebenden Menschen selbst konnten so nicht mit dem gewünschten zeitlichen Vorlauf auf die neue Situation vorbereitet werden. Durch dieses Verfahren wie auch durch die neue Prüfung von Einkommen und Vermögen entstand Unmut bei Leistungserbringern und Leistungsberechtigten. Viele Leistungsberechtigte wurden unsicher, ob sie künftig noch Leistungen für das Betreute Wohnen erhalten würden. Nun hat der LWV mit einer Entscheidung des Verwaltungsausschusses klargestellt: Das Verfahren beim Betreuten Wohnen entspricht den gesetzlichen Vorgaben und wird zudem sozialverträglich umgesetzt.
1986 wurde in Hessen die erste Verwaltungsvereinbarung über das Betreute Wohnen für behinderte Menschen zwischen der Liga der Freien Wohlfahrtspflege, dem Hessischen Landkreistag, dem Hessischen Städtetag und dem LWV abgeschlossen. Die Vereinbarung, die mehrfach ergänzt wurde, entwickelte sich in den Folgejahren zum Erfolgsmodell: Bis zum 30. November 2004 wurden 7.448 Plätze anerkannt, Hessen erreichte beim Betreuten Wohnen bundesweit eine Spitzenstellung. Eine wachsende Zahl von behinderten Menschen nahm dieses Betreuungsangebot zu einem weitgehend selbstbestimmten Leben an. Es war einvernehmliche Praxis, die Leistungen bis auf weiteres ohne den Einsatz von Einkommen und Vermögen und ohne eine Heranziehung Unterhaltsverpflichteter zu gewähren. Abgelöst wurde diese Vereinbarung durch eine neue vertragliche Regelung, die von den Vertragspartnern Hessisches Sozialministerium, Hessischer Landkreistag, Hessischer Städtetag und LWV am 17. Dezember 2003 abgezeichnet wurde. Die neue Vereinbarung fordert und fördert den landesweit gleichmäßigen Ausbau des Betreuten Wohnens für Menschen mit Behinderung. Sie legt zugleich die sachliche Zuständigkeit und die Finanzierung für diese Aufgabe für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2008 neu fest. Erstmalig wird damit eine umfassende Zuständigkeit für das Betreute Wohnen auf Zeit in die Hände des LWV gelegt.
Im Zuge der Umsetzung dieser Vereinbarung wurde die Frage des Einsatzes von Einkommen und Vermögen sowie der Heranziehung Unterhaltspflichtiger auch unter geänderten gesetzlichen Rahmenbedingungen neu geprüft. So war der LWV nun verpflichtet, zum Einsatz von Einkommen und Vermögen sowie zur Heranziehung Unterhaltspflichtiger eine gesetzeskonforme wie auch sozialverträgliche Lösung zu erarbeiten. Hintergrund der so getroffenen Entscheidung war zum einen die außerordentlich schwierige finanzielle Situation der Landkreise und kreisfreien Städte als Träger des LWV, die einen Verzicht auf erzielbare Erlöse nicht zulässt. Zum anderen sah sich der LWV in der Pflicht, die bis dato praktizierte Ungleichbehandlung von Menschen, die Leistungen entweder des ambulanten oder aber des „stationären“ Wohnens (Wohnheim) erhielten, aufzuheben. Dies entspricht so auch der veränderten rechtlichen Situation: Das neue Sozialgesetzbuch Teil XII (SGB XII) sieht eine Vereinheitlichung beim Einsatz von Einkommen und Vermögen sowie bei der Heranziehung Unterhaltspflichtiger für stationäre und ambulante Maßnahmen der Eingliederungshilfe vor.
Aufgrund der lang andauernden Verhandlungen zum Abschluss einer „Zusatzvereinbarung für das Betreute Wohnen“ mit den Vertretern der Leistungserbringer – sie konnte erst am 25.11.2004 abgeschlossen werden – sowie des späten Abschlusses des Beitrittsverfahrens der Kommunalen Gebietskörperschaften zur „Vereinbarung über das Betreute Wohnen“ – alle Landkreise und kreisfreien Städte mussten dazu entsprechende Beschlüsse fassen -, konnten erste Informationen an die Leistungsempfänger und Leistungserbringer erst Mitte Januar 2005 vermittelt werden. Mit Schreiben vom 24. Januar 2005 wurden alle Personen, die in Kostenträgerschaft des LWV Leistungen des Betreuten Wohnens erhalten, über die beabsichtigte Inanspruchnahme aus Einkommen und Vermögen sowie Heranziehung Unterhaltsverpflichteter informiert und um Rücksendung eines Fragebogens gebeten. Die Leistungserbringer des Betreuten Wohnens waren mit einem Rundschreiben vom 13. Januar 2005 vorab informiert worden. Dies hat sowohl bei den Leistungserbringern als auch bei den Leistungsempfängern im Betreuten Wohnen zu Irritationen geführt. Nachvollziehbarer Hauptkritikpunkt war der enge zeitliche Rahmen zwischen der schriftlichen Information und dem Zeitpunkt, zu dem die neue Regelung wirksam werden sollte. In einem Spitzengespräch zwischen der Liga der Freien Wohlfahrtspflege und dem LWV am 1. März 2005, wie auch in der Sitzung der Vertragskommission am 10. März 2005, wurde die Problematik besprochen, der LWV hat dabei seine Handlungsmöglichkeiten dargelegt.
Um den Leistungsberechtigten im Betreuten Wohnen ausreichende Informations- und Entscheidungsspielräume zu eröffnen, wurde durch den Verwaltungsausschuss des LWV beschlossen, den Einsatz von Einkommen und Vermögen und die Heranziehung Unterhaltspflichtiger im Betreuten Wohnen erst ab dem 1. Juli 2005 wirksam werden zu lassen. Um den bereits genannten Anforderungen einer sozialverträglichen und gesetzeskonformen Rechtsanwendung zu genügen, sollen die folgenden Rahmenbedingungen gelten:
Im Rahmen der vorgenannten Bedingungen wird jeder Einzelfall individuell geprüft. Der LWV möchte durch dieses Verfahren sicherstellen, dass das Betreute Wohnen auch in Zukunft die bevorzugte Wohnform einer wachsenden Zahl behinderter Menschen bleibt, die ihnen einerseits den erwünschten Freiraum zu einer selbstbestimmten Lebensweise ermöglicht und ihnen andererseits mit wirksamen Hilfen zur Seite steht. (jda)
Einkommensgrenze
Für Herrn A. gilt die folgende, nach § 85 SGB XII ermittelte Einkommensgrenze:
Grundbetrag (= 2 x Eckregelsatz 345 Euro): 690 Euro
plus Kaltmiete (tatsächliche, angemessene Aufwendungen): 331 Euro
Einkommensgrenze: 1.021 Euro
Herr A. verfügt über folgendes Einkommen und Vermögen:
Einkommen:
Erwerbsunfähigkeitsrente: 785 Euro
Betriebsrente: 240 Euro
Werkstattlohn: 146 Euro
Gesamteinkommen: 1.171 Euro
abzüglich Aufwendungen: 48 Euro
Bereinigtes Einkommen: 1.123 Euro
Bei der „Einkommensbereinigung“ nach § 82 Abs. 2 SGB XII kann Herr A. einzelne Aufwendungen, z. B. bestimmte Versicherungsbeiträge oder Werbungskosten, vom Einkommen absetzen. Auch wird geprüft, ob Herr A. besondere Belastungen zu tragen hat.
Vermögen
Herr A. verfügt über ein Sparbuch mit einem Kontostand von 1.410 Euro. Dieses Sparguthaben fällt unter das Schonvermögen und muss daher nicht eingesetzt werden.
Einkommenseinsatz
Bereinigtes Einkommen: 1.123 Euro
Einkommensgrenze: 1.021 Euro
Einkommen über Einkommensgrenze: 102 Euro
Für die Kosten des Betreuten Wohnens muss Herr A. sein über der Einkommensgrenze liegendes Einkommen zu 75 % einsetzen. Sein Anteil beträgt somit 76,50 Euro.
Geprüft wird auch, ob die Eltern von Herrn A. möglicherweise nach § 94 Abs. 2 SGB XII unterhaltspflichtig sind. Im Regelfall erstreckt sich die Unterhaltspflicht der Eltern lediglich auf einen Betrag von max. 26 Euro, sofern der zivilrechtliche Selbstbehalt überschritten wird.
Eines der Kernstücke der Vereinbarungen zum Betreuten Wohnen ist die Abrechnung der erbrachten Leistungen auf der Grundlage von Fachleistungsstunden statt der bisherigen Prüfung eines Verwendungsnachweises mit „Spitzabrechnung“. Dagegen wurde nach nur wenigen Wochen Praxis bereits Kritik laut: Die Fachleistungsstunde sei nicht auskömmlich und erschwere die individuelle Betreuung der im Betreuten Wohnen lebenden Menschen, wandten Anbieter ein. Der Kritik schloss sich die Forderung an, wieder zum alten Abrechnungsverfahren zurückzukehren. Vertreter des LWV sehen hingegen in diesem Vorschlag keinen gangbaren Weg. Mit der Fachleistungsstunde setze sich ein differenziertes und den Aufwand minimierendes Abrechnungsverfahren durch, das in einer wachsenden Zahl von Bundesländern angewandt werde. Auch sei es durch die mit einem Basisbetrag von 50,16 Euro angesetzten Fachleistungsstunde möglich, dem Ziel einer Vereinheitlichung von Standards in der Behindertenhilfe näher zu kommen. Nach dem Prinzip „Gleiches Geld für gleiche Leistungen“ soll so eine Annäherung der noch immer differierenden Entgelte und Vergütungen erreicht werden. Auch gewährleiste das neue Abrechnungsverfahren eine individuelle Leistungsgewährung und Betreuung. Der jeweilige Hilfebedarf werde über den Integrierten Hilfeplan erhoben. Erst auf dieser Grundlage werde dann die individuell erforderliche Anzahl von Fachleistungsstunden über ein im Volumen gestaffeltes System von Pauschalen festgesetzt. Dennoch setzen die Verantwortlichen des LWV auf Dialog und wollen sich auch künftig mit allen Beteiligten zum Betreuten Wohnen austauschen. (jda)