ProBAs stärkt schwerbehinderte Bachelor-Absolventen
Am Paul-Ehrlich-Institut in Langen und an zwei weiteren hessischen Forschungseinrichtungen können sich schwerbehinderte Bachelor-Absolventinnen und -Absolventen weiter qualifizieren. Auf diese Weise können sie ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Das Projekt ProBAs wird vom LWV gefördert. Wir stellen zwei der jungen Teilnehmer vor.
LANGEN. Wenn man Daniela Johnsson fragt, was ihr in ihrem Job an meisten hilft, kommt die Antwort prompt: „Der elektrische Türöffner“, sagt sie. Was sie sonst an Hilfen braucht? Die junge Frau im Rollstuhl grübelt, aber es will ihr nicht recht etwas einfallen. Auf der Computer-Tastatur, die vor ihr auf dem Schreibtisch liegt, tippt Johnsson flink ein paar Dinge ein, speichert sie ab und schickt sie ins Netz. Hier am Paul-Ehrlich-Institut bereitet die 28-Jährige seit August Texte aus ihrem Fachgebiet unter anderem für das hausinterne Intranet vor. „Es ist mir extrem wichtig, eine ganz normale Arbeitnehmerin zu sein“, sagt sie.
Daniela Johnsson ist von Geburt an behindert. Ihre Zwillingsschwester kam gesund auf die Welt, doch bei Daniela trat ein Sauerstoffmangel auf – mit negativen Auswirkungen auf ihr Bewegungszentrum im Gehirn.
Ein Elektro-Rollstuhl sichert ihre Fortbewegung. Schule und Studium hat sie erfolgreich absolviert: Nach dem Fachabi studierte Johnsson Medien und Information an der Fachhochschule Hamburg.
Doch nach dem Bachelor im Sommer 2009 ging es zunächst nicht weiter. „Ich wollte weg vom Amt und mich selbst finanzieren“, sagt Johnsson. In einer Pressestelle hätte sie gerne gearbeitet, doch es kamen nur Angebote von Behindertenorganisationen und da, sagt Johnsson, „wurde ich von oben herab behandelt.“
Ein spezielles Projekt am Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen erlaubt ihr nun ein Leben als „ganz normale Arbeitnehmerin“: Anfang Januar wurde hier ProBAs (Projekt zur Weiterqualifikation für schwerbehinderte Bachelor-Absolventinnen) ins Leben gerufen. Das Ziel: Den Nachwuchs-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Zugang zu qualifizierten Tätigkeiten in der Wissenschaft, der Forschung oder der Verwaltung zu verschaffen.
Durch die neuen Bachelor- und Master-Studiengänge hätten sich die Bedingungen für Menschen mit Behinderungen deutlich verschlechtert, sagt Annetraud Grote, Projektleiterin am PEI und eine der Initiatorinnen von ProBAs. Der hohe Zeitdruck und der modulare Aufbau machten es sehr schwer, ein verpasstes Seminar später nachzuholen, erklärt Grote. Das treffe schwerbehinderte Studierende öfter, etwa weil sie häufiger zur Krankengymnastik müssten, wegen einer Operation ausfielen oder sich zwischendurch hinlegen müssten. „Das ist eine schwierigere Konkurrenzsituation: Für nicht-behinderte Studierende ist es leichter, gute Noten zu bekommen“, sagt Grote. Damit aber sänken die Chancen für behinderte Studierende rapide, zum Master-Studiengang zugelassen zu werden.
Dazu komme noch das Problem mit den Sozialhilfeträgern: Weil der Bachelor angeblich schon für einen Beruf qualifiziere, weigerten sich viele Sozialämter, für den „behinderungsbedingten Mehrbedarf“ im Master-Studiengang zu zahlen. Doch der Bachelor allein werde nicht als ausreichender wissenschaftlicher Abschluss auf dem Arbeitsmarkt anerkannt, sagt Grote. In dieser Zwickmühle blieben gerade viele schwerbehinderte Nachwuchswissenschaftler stecken. „Die Leute haben einfach große Probleme, Jobs zu bekommen“, sagt Grote.
Genau hier setzt ProBAs an: Die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollen für den Arbeitsmarkt qualifiziert werden – ohne Master, einfach dadurch, dass sie arbeiten. „Sie sollen nicht als billige Arbeitskräfte missbraucht werden, die Qualifikation steht im Vordergrund“, sagt Grote. Fünf ProBAs- Teilnehmer arbeiten inzwischen am Paul-Ehrlich-Institut, sie haben Abschlüsse in Biologie, Chemie, Betriebswirtschaft oder Ökotrophologie. Am PEI werden sie für drei Jahre angestellt und arbeiten in ihren Abteilungen an verschiedenen Projekten.
Wie Stefan Krug. Dem 27-jährigen gebürtigen Berliner mit einem Bachelor in Chemie hat es die Arbeit im Labor angetan. Trotz seiner Behinderung, unter anderem einer Fehlbildung der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, absolvierte er ein ganz normales Gymnasium. Für den Bachelor brauchte er vier Jahre statt drei – manchmal kann er sich nicht so gut konzentrieren. Danach wollte er erst einmal arbeiten. „Ich wollte wie im Studium auch unabhängig sein von meinen Eltern und auf eigenen Füßen stehen“, sagt er.
Doch die Jobsuche gestaltete sich schwierig, obwohl Krug für ein Praktikum sogar bis nach Baden-Württemberg zog. Bei einem anderen Praktikum sei er behandelt worden „wie ein kleiner Depp“, sagt Krug. Zum Glück sei dann der Anruf von der Arbeitsagentur gekommen. Jetzt prüft Krug in der Abteilung Immunologie, einem Team von zwölf Leuten, biologische Arzneimittel auf ihre Reinheit und nimmt im kleinen Museum des Hauses mit glänzenden Augen auf dem Originalsofa des berühmten Institutsgründers Paul Ehrlich Platz.
„Unsere Teilnehmer sind alle gut in ihren Jobs angekommen“, sagt Grote zufrieden. Natürlich gebe es Probleme, aber die seien ähnlich gelagert wie bei anderen Mitarbeitern auch. „Menschen mit Behinderungen sind nicht öfter krank und genauso leistungsfähig", betont Grote: „Man sollte das Know-how von behinderten Menschen nicht verschenken.“ Die 43-Jährige weiß, wovon sie redet: Die Volljuristin sitzt selbst im Rollstuhl, nun surrt sie kreuz und quer durch die Gänge im PEI, grüßt hier einen Bekannten und dort eine Kollegin. Auch Katrin Völler, Referatsleiterin für EU-Kooperationen und Daniela Johnssons Chefin trifft sie unterwegs. Ihre Mitarbeiterin, sagt sie, mache jetzt „Sachen, von denen wir viel zu wenig Ahnung hatten. Frau Johnsson unterstützt uns mehr, als wir sie.“
Im PEI gebe es einfach „eine Grundarbeitsatmosphäre, die Menschen mit Behinderung sehr willkommen heißt“, sagt Grote. Bei stolzen sechzehn Prozent liegt inzwischen die Schwerbehindertenquote. „Es ist normal, dass einem jemand im Rollstuhl begegnet“, sagt Grote, und drückt mal wieder einen der zahlreichen elektrischen Türöffner. „Die kommen übrigens auch den Menschen mit Laborwagen zugute“, sagt sie noch.
Auch für Johnsson ist der Job am renommierten PEI „manchmal noch unwirklich. Ich muss das erst noch begreifen“, sagt sie. Im Studium war sie die Ausnahme. Ihre Kommilitonen hätten „relativ lange gebraucht, bis sie merkten, dass ich auch reden kann“, sagt die junge Frau verschmitzt. Glauben kann man das kaum, wenn man ihr gegenüber sitzt. Doch auch Johnsson musste für sich Schranken überwinden: „Nicht-Behinderte waren für mich erst einmal eine besondere Form von Hürde“, sagt sie. „Ich hatte immer das Gefühl beweisen zu müssen, dass ich mich völlig normal verständigen kann.“ Durch ihren neuen Job am PEI „bin ich meinem Traum einen großen Schritt näher gekommen", sagt sie glücklich. Spricht's, drückt auf den elektrischen Türöffner, und flitzt zum Bus. „Meine Behinderung“, hatte sie kurz zuvor gesagt, „beeinflusst mich – aber doch nicht meine Arbeit."
Gisela Kirschstein
Das Projekt ProBAs wurde am 1. Januar 2010 gestartet und ist auf drei Jahre begrenzt. Die Leitung liegt beim Paul-Ehrlich-Institut in Langen. Ziel ist es, schwerbehinderte Bachelor-Absolventen in wissenschaftlichen oder administrativen Bereichen weiterzubilden. Das „Training on the Job“ soll den schwerbehinderten Nachwuchswissenschaftlern den Einstieg in den normalen Arbeitsmarkt erleichtern, sie gezielt weiterqualifizieren und Arbeitgeber für ihre Beschäftigung sensibilisieren. Die Initiatoren wollen auch darauf aufmerksam machen, dass sich die Förderung schwerbehinderter Studierender durch die neuen Bachelor- und Master-Studiengänge verschlechtert hat.
Projektpartner von ProBAs sind neben dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) das Robert Koch Institut, das Zentrum für blinde und sehbehinderte Studierende (BliZ) der Fachhochschule Gießen-Friedberg und die Beratungsstelle für Studierende mit Behinderung der Technischen Universität Dortmund. Über ProBAs sind bereits sieben Bachelor-Absolventen beschäftigt, fünf am PEI und zwei an der FH Gießen-Friedberg. In diesem Jahr sollen weitere sechs hinzukommen: je zwei am PEI und dem Robert Koch Institut und je einer an der FH Gießen-Friedberg sowie der TU Dortmund.
Gefördert wird das Projekt vom Bundesgesundheitsministerium, der Bundesagentur für Arbeit, dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, dem Landesbehindertenbeauftragten von Hessen und dem Landeswohlfahrtsverband Hessen. Der LWV fördert jeden hessischen Teilnehmer von ProBAs drei Jahre lang mit 670 Euro monatlich.
kir
Weitere Informationen unter www.projekt-probas.de und www.pei.de