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Ohne viele Worte

Ohne viele Worte

Assistenz im Beruf finanziert das Integrationsamt beim LWV unter bestimmten Voraussetzungen auch bei einer selbstständigen Tätigkeit. Filmemacherin Karin Malwitz profitiert davon, denn sie ist hörgeschädigt. Ihr Ansprechpartner beim LWV, Michael Eltze, hat die ehrgeizige Filmerin kürzlich aufgesucht.


FRANKFURT „Ich kann nicht anders – wenn ich eine Kamera sehe, muss ich filmen.“ Karin Malwitz‘ Blick erklärt mehr als Worte. Die ganze Liebe zum Film offenbart sich darin. Hier steht eine Frau mitten im Leben, die mit Mut und Willenskraft ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht hat – ihrer Hörbehinderung zum Trotz.

In ihrer kleinen Dachgeschosswohnung im Frankfurter Wohnviertel Bornheim setzt sie sich an ihren Arbeitsplatz, den Schreibtisch mit Multimedia-Mac. An ihm bearbeitet sie derzeit die Filmclips ihrer Produktionsfirma „Kamafilm“, Imagefilme für Internetseiten von Unternehmen, mit denen sie sich neue Kunden erschließen möchte. Sie öffnet eine Datei, animierte Bilder strömen mit Wucht auf den Betrachter ein, untermalt von bombastischen Klängen, die sich im richtigen Moment - dramaturgisch geschickt - hinter die Bilder zurückziehen. Es braucht keine Dialoge, die Botschaft liegt in Bild und Ton.

Der Markt, auf dem sich Malwitz mit ihren Produktionen behaupten will, ist hart umkämpft. Die Finanzkrise erschwert es zusätzlich, neue Auftraggeber zu finden. Doch Malwitz hat schon viele hohe Hürden überwinden müssen, um ihre Ziele zu erreichen. Immer wieder hat sie in ihrem Leben, beruflich wie privat, Rückschläge hinnehmen müssen, ist aber auch für ihr Stehvermögen belohnt worden. So im Jahr 2006, als ihr Film „Geigensolo“ für den Deutschen Kurzfilmpreis nominiert wurde und das Prädikat „besonders wertvoll“ verliehen bekam.

Sie hat lange für diesen Film gekämpft, hat Sponsoren gesucht, hat sie gefunden, hat Geld von der Filmförderung bekommen – und wieder an unseriöse Produzenten verloren, die Gelder veruntreuten. Hoch verschuldet hat sie sich wieder aufgerappelt und von vorn begonnen, hat gekämpft für ihre Idee und letztlich gewonnen.

Auch „Geigensolo“, eine Tragikomödie, kommt ohne Dialoge aus. Der 20-minütige Film erzählt in wunderbar poetischen Bildern von einem alten, vereinsamten Geigenvirtuosen, der taub geworden ist und resigniert seinem Leben ein Ende setzen will - als plötzlich, in einer Silvesternacht, doch noch einmal das Leben und die Musik zu ihm zurückkehren.

„Einsamkeit ist ein großes Thema für mich“, erklärt die Filmemacherin. „Nicht hören können heißt, nicht kommunizieren können. Das ist auch eine Form von Sprachlosigkeit.“ Karin Malwitz spricht aus eigener Erfahrung. Sie hat von Geburt an eine Hörbehinderung, die es ihr unmöglich macht, hohe Töne wahrzunehmen. 1963 im Allgäu geboren, zieht sie mit ihren Eltern und ihrem zwei Jahre älteren Bruder Ralf schon bald nach Heidelberg. Dort besucht sie eine normale Grundschule. Doch es fällt ihr schwer, dem Unterricht zu folgen. Denn auch die tiefen Töne, die sie noch hören kann, verschwimmen, wenn es viele Umgebungsgeräusche gibt. „Ich habe liebe Eltern, aber sie waren damals überfordert von den Schwierigkeiten, die mein Hörfehler mit sich brachte“, erinnert sich Karin Malwitz und spricht dabei mit einem sympathischen, holländisch klingenden Akzent. Dass sie so spricht, weil sie hörbehindert ist, auf die Idee kommt man nicht, so perfekt liest sie von den Lippen. Sie erzählt weiter, lebhaft, rasch ruft sie ihre Erinnerungen wach.

Die gesamte Schulzeit über – später in Darmstadt, dann in Frankfurt - erfährt das junge Mädchen wenig Positives, ihr Selbstbewusstsein leidet, dennoch schafft sie auf einer Schule für Hörbehinderte den Realschulabschluss. Damit gibt sie sich aber nicht zufrieden. Sie erkämpft sich das Abitur auf einem normalen Gymnasium. Während Schulkameraden in die Disko und ins Kino gehen, sitzt Karin Malwitz am Schreibtisch und lernt, lernt, lernt. Freunde, Lehrer, Eltern raten ihr, die Schule abzubrechen – doch sie hält stur an ihrem Ziel fest und schließt ihr Abitur mit einem Dreier-Notenschnitt ab. „Da bin ich vor Freude hundert Meter in die Luft gesprungen“, beschreibt sie das unglaubliche Glücksgefühl damals. „Meine Mutter hat geweint.“

„Ich hatte es in der normalen Schule schon sehr schwer, denn man sieht mir meine Behinderung ja nicht an. Und so hat auch niemand darauf Rücksicht genommen. Immer wieder habe ich gesagt ‚sprecht doch bitte deutlich’ – aber im nächsten Moment ist das schon wieder vergessen. Das geht mir bis heute so.“

Nach der Schule folgt sie ihrem Bruder Ralf auf die Hochschule für Gestaltung in Offenbach. Er will Kameramann werden, sie schreibt sich für ein Grafikstudium ein und nimmt parallel dazu heimlich das Filmstudium auf. Ihre Eltern dürfen das nicht wissen, denn ihr Vater wünscht sich, dass sie auf ihr Zeichentalent aufbaut und Künstlerin wird. „Meine Eltern dachten vielleicht, ich bekomme irgendwann einen reichen Mann und dann ist alles gut. Aber so wollte ich das nicht“, sagt sie lachend. Sich in Bildern ausdrücken, das ist ihre Form der Kommunikation und im Film findet sie ihr Medium. Aber wieder hält das Schicksal einen schweren Schlag für sie bereit. Ihr Bruder, der für sie so wichtig ist und sie immer unterstützt, kommt 1991 während der Dreharbeiten zu einem Film um. Sein gesamtes Team, Darsteller und Hochschulangehörige, insgesamt 28 Menschen, sterben bei einem Flugzeugabsturz. Karin Malwitz braucht Jahre, um sich davon zu erholen. Auch heute noch ist ihr anzusehen, wie tief der Schmerz sitzt, den das Unglück ihr zugefügt hat. Erst sieben Jahre später verarbeitet sie ihn in ihrer Abschlussarbeit für ihr Studium in dem Film „Drachentanz“. Später folgt der heute noch erfolgreiche Film „Sinn Los“ über einen taubblinden Masseur, der aus seiner Behinderung eine Berufung macht. „Immer wieder beschäftige ich mich mit Menschen mit Behinderungen – dabei wollte ich das gar nicht, ich wollte etwas ganz Normales machen“, sagt sie mit einem Lächeln.

Das Normale machen ist für sie nicht immer einfach. Ihre Hörbehinderung erschwert es ihr, die für ihren Beruf notwendigen Dinge zu erledigen – Briefe schreiben, E-Mails beantworten, Telefonate führen. Gerade bei Erstkontakten ist es in der Filmbranche notwendig, einen guten Eindruck zu hinterlassen. „Ich fühle immer die Unsicherheit, etwas vielleicht nicht richtig zu verstehen und befürchte dann, ein Gespräch in die falsche Richtung zu lenken“, erläutert sie ihre Schwierigkeiten. Auch die Arbeit mit Musikern, die ihr bei der Vertonung ihrer Filme helfen, ist nicht einfach: „Manchmal finde ich nicht die richtigen Worte, um die Musik, die ich mir vorstelle, richtig zu beschreiben.“ Deswegen ist sie froh, wenn jemand, der sie gut kennt und besser zu formulieren weiß, dabei ist.

Möglich ist das, seit das Integrationsamt beim LWV ihr finanzielle Unterstützung für eine Arbeitsassistenz gewährt. So begleitet sie ein vertrauter Mensch auf wichtige Termine und hilft ihr auch bei der Korrespondenz. Für Michael Eltze, ihren Ansprechpartner im Integrationsamt, ist es interessant zu sehen, wie sich der Arbeitsalltag von Karin Malwitz gestaltet. Zu erfahren, dass ein Freiberufler einige Jahre braucht, bis er sich etabliert hat. „Das ist sicherlich noch einmal etwas ganz anderes, als in einer Festanstellung zu arbeiten.“ Für Karin Malwitz bedeutet es eine enorme psychische Entlastung, wenn sie die Menschen, die sie unterstützen, für diese Leistungen bezahlen kann: „Ich muss jetzt nicht mehr ständig Freunde um Hilfe bitten und ewig dankbar sein.“

Zur Zeit arbeitet sie mit dem bekannten Tatort- Drehbuchautor Peter Zingler an einem neuen Projekt, auf das sie große Hoffnungen setzt. Gemeinsam schreiben sie ein Drehbuch zu einem Spielfilm. Es geht um einen Außenseiter, der nach dem Verlust seines Sohnes langsam wieder ins Leben zurückfindet.

„Angefangen habe ich ja als Kamerafrau“, sagt Karin Malwitz, „aber da gab es immer einen Regisseur, der sagte, was ich tun soll. Dann habe ich selbst angefangen, Regie zu führen. Aber dann musste ich mich an ein Drehbuch halten. Also habe ich mit dem Drehbuchschreiben begonnen.“

Und wie kam sie zum Filmen? „Als ich 18 war, habe ich eine Reise gemacht. Ich langweilte mich, weil mich die langen Gespräche mit Freunden anstrengten. Dann bin ich abends allein durch eine fremde Stadt gelaufen und habe mir gedacht, warum kann das Leben nicht so spannend und schön sein wie im Film? So fiel der Entschluss, wenn das Leben schon nicht wie ein Film ist, Filme im eigenen Leben zu machen.“ Und an dem hält sie fest, ganz gleich, wie viele Hürden sie noch nehmen muss.
Katja Gußmann

http://www.geigensolo.de 
http://www.kamafilm.de 


HINTERGRUND
ASSISTENZ IM BERUF

Karin Malwitz erhält seit 2008 Unterstützung durch das Integrationsamt. Ziel der Arbeitsassistenz ist die dauerhafte Sicherung der Beschäftigung beziehungsweise der selbstständigen Tätigkeit. Wichtig ist, dass der/die Schwerbehinderte selbst den Kern der Tätigkeit ausübt, die Arbeitsassistenz leistet lediglich unterstützende Hilfsarbeiten, die aufgrund der Behinderung notwendig sind.

Möglich ist, dass der/die Schwerbehinderte selbst die Assistenzkraft beschäftigt (Arbeitgebermodell) oder, dass ein Dienstleister beauftragt wird, der die Unterstützung organisiert und erbringt (Dienstleistungsmodell). Im Integrationsamt wird der Bedarf festgestellt und regelmäßig überprüft. Die Höhe der Leistung richtet sich nach den individuellen Bedürfnissen im Einzelfall. Sie ist abhängig vom täglichen Assistenzbedarf und liegt in der Regel zwischen 275 und 1.100 Euro monatlich. Rechtsgrundlage für den Anspruch gegenüber dem Integrationsamt sind das Sozialgesetzbuch (SGB) IX und die Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung (SchwbAV).

http://www.integrationsamt-hessen.de