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Profis helfen Familien

Profis helfen Familien

In Rimbach erhalten Eltern mit seelischer Behinderung und ihre Kinder Unterstützung aus einer Hand. Das Diakonische Werk Bergstraße bündelt die Leistungen vom Landeswohlfahrtsverband und vom Jugendamt. Betreutes Wohnen für Familien heißt das Angebot. Eltern und Kinder werden im Alltag entlastet. Damit verfolgen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zugleich einen präventiven Ansatz. Denn Kinder psychisch kranker Mütter und Väter haben ein größeres Risiko als andere, ebenfalls krank zu werden. Das Projekt will dazu beitragen, dieses Risiko zu verkleinern.

RIMBACH. Aylin* strahlt, sie lacht, gluckst und zappelt, wie es sich für ein acht Monate altes Baby gehört. Und ihre Mutter strahlt mit. Trotz Depressionen und posttraumatischer Belastungsstörung kann sie es endlich genießen, Mutter zu sein. Geholfen hat ihr dabei die Betreuung durch die Mitarbeiterinnen des Diakonischen Werks in Rimbach, dem Wohnort der 32-jährigen Elin K.*. Aus einer Hand erhält sie hier Hilfe für sich selbst – und für ihre drei Kinder.

Ein Modell, das zwei Kostenträger im Hintergrund hat (Jugendamt und Landeswohlfahrtsverband), aber einen Leistungserbringer: das Diakonische Werk Bergstraße. Gerade für Menschen in schwierigen Lebenssituationen, wie Elin K. sie durchlebt, ist diese Bündelung der Maßnahmen eine enorme Erleichterung für den Alltag.

2010 suchte die in Deutschland geborene, türkischstämmige junge Frau in der offenen Sprechstunde des Psychosozialen Zentrums Hilfe. Da war sie von ihrem türkischen Mann bereits geschieden und lebte mit ihren damals sechs und acht Jahre alten Kindern allein. „Ich konnte einfach nicht mehr“, berichtet sie, „ich war am Ende. Ich habe gemerkt, dass ich für mich selbst Hilfe brauche, Freunde habe ich keine.“ In dieser Verfassung lernte sie ihre Sozialarbeiterin Irmtraud Schneider kennen, die sie bis heute unterstützt und begleitet. „Ich erlebe Frau K. als einen Menschen, der zwischen den Kulturen lebt“, sagt diese. „Mit türkischen Frauen gibt es nicht so viel Verbindendes, mit deutschen Frauen noch nicht genug.“ So war Elin K. auf sich allein gestellt in einer extrem belastenden Situation.

Aufgewachsen in einer türkischen Familie mit einer psychisch kranken Mutter, muss sie früh Verantwortung für die beiden jüngeren Geschwister übernehmen, dem Vater gehorchen, einfach nur funktionieren. Nichts wert zu sein, dieses Gefühl hat sie aus dieser Zeit zurückbehalten. In einer Ehe mit ihrem Cousin aus der Türkei verstärkt es sich noch. Mit 21 bekommt sie ihr erstes Kind, Yasin*. Eine komplizierte Geburt, die in den Folgejahren zu Entwicklungsverzögerungen des Jungen führt. Nur zwei Jahre später kommt Tochter Dilan* zur Welt. „Ich habe schon in der Schwangerschaft gemerkt, dass etwas anders ist“, erinnert sich Elin K. Doch erst Tage nach der Geburt, beim ersten Hausbesuch der Hebamme, erfährt sie, dass Dilan Trisomie 21 hat. Ihre Tochter hat zudem einen Herzklappenfehler, muss mit vier Monaten operiert werden und wird 18 Monate lang mit Sonde ernährt. „Ich habe sechs, sieben Jahre lang keine Nacht durchgeschlafen“, erzählt Elin K. ohne Selbstmitleid. Der Ehemann reagiert mit Ablehnung, auch Elins Eltern sind ihr in dieser Situation keine Hilfe.

In der Beratungsstelle wird schnell klar, dass der seelisch belasteten und inzwischen alleinerziehenden Mutter mit einer Unterstützung durch das Jugendamt allein nicht geholfen ist. Seit 2008 gibt es in Rimbach Betreutes Wohnen für Familien, in denen Mutter, Vater oder beide Eltern psychisch erkrankt sind. Hier werden sowohl die betroffenen Erwachsenen als auch deren Kinder psychosozial betreut. Martina Hanf ist zuständig für den Bereich, im dem derzeit 65 Menschen im Kreis Bergstraße begleitet werden. „Der Aufbau des neuen Arbeitsgebietes“, sagt sie, „in dem wir Familien mit Kindern betreuen, erfolgte aus den Erfahrungen in der praktischen Arbeit. Zudem wurde eine Klientin aus dem Betreuten Wohnen schwanger, so dass sich das Thema praktisch von selbst ergab.“

Das Projekt startete mit zwei Familien, heute sind es 20. Die Betroffenen leben in ihren eigenen Wohnungen. Nur selten stellt das Diakonische Werk eine Unterkunft. Die Betreuung ist ambulant. Das Besondere des Angebots liegt darin, dass die Hilfesuchenden mit dem Diakonischen Werk nur einen Leistungserbringer haben, der die Hilfen von Jugendamt und Landeswohlfahrtsverband sinnvoll verzahnt.

Der Landeswohlfahrtsverband übernimmt die Kosten für die Begleitung von Vater oder Mutter im Rahmen der Eingliederungshilfe. „Für die Leistungen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz sind die Zugangswege so unterschiedlich wie die Familien selbst“, erklärt Martina Hanf. „Wenn sich beide Seiten die Unterstützung vorstellen können, erfolgt durch die Familie beim Jugendamt ein Antrag auf Hilfe zur Erziehung. Dort wird dann der Einzelfall geprüft, im Falle einer Bewilligung kann die Hilfe starten und wird regelmäßig in Hilfeplangesprächen reflektiert.“ Die betroffenen Familien haben mit den zuständigen Sozialarbeiterinnen des Diakonischen Werks Profis an ihrer Seite, die sie durch diese durchaus anstrengenden Prozesse begleiten.

ERSTMALS UNTERSTÜTZUNG

Für Elin K. ist es das erste Mal in ihrem Leben, dass nicht nur ihre Kinder, sondern sie selbst Unterstützung bekommt. Einmal in der Woche trifft sie sich zur Beratung mit Irmtraud Schneider, ihrer Bezugsbetreuerin und Hauptansprechpartnerin. In den Gesprächen geht es um Erziehungsfragen, um die Bewältigung des Alltags, darum, durch den professionellen Blick von außen eingefahrene Verhaltensweisen aufzubrechen, wenn sie der jungen Frau nicht gut tun. Manchmal begleitet die Sozialarbeiterin Elin K. auch bei notwendigen Behördengängen.

Zudem erhält Elin K. ärztliche Betreuung, um ihre Krankheit in den Griff zu bekommen. „Anfangs habe ich Medikamente genommen, da ging es mir natürlich gleich besser, ich war fast euphorisch. Als ich merkte, dass ich mit Aylin schwanger war, habe ich die Medikamente abgesetzt und bislang läuft zum Glück alles gut. Wenn ich mich mal nicht so gut fühle, schaue ich meine Tochter an, da muss es einem gleich besser gehen“, berichtet sie lächelnd.

Ursprünglich war geplant, eine Berufsausbildung anzugehen, denn schließlich hat Elin K. einen Realschulabschluss. Doch dann kam im Sommer 2011 die Einladung des Vaters der Kinder in die Türkei. „Ich wollte vor allem meinem Sohn den Kontakt ermöglichen und bin zu Besuch in die Türkei gefahren“, erklärt Elin K. die Reise in das Land ihrer Eltern. Ihr Ex-Mann zeigt sich von seiner besten Seite, geht mit ihr aus, lädt sie zum Essen ein – und sie verliebt sich wieder in ihn. Zuhause in Deutschland stellt sie fest, dass sie schwanger ist. Die Ausbildungspläne werden auf Eis gelegt. Ihr Ex-Mann kommt wieder nach Deutschland – doch es geht wieder nicht gut. Elin K. muss ihr Leben mit ihren drei Kindern ohne die Unterstützung des Vaters meistern. Das ist ihr nun endgültig klar.

Für die Kinder kommt Schneiders Kollegin Andrea Kunz regelmäßig zu Besuch, sie koordiniert die Hilfen für die Kinder, leistet nach Bedarf sozialpädagogische Förderung und bespricht sich regelmäßig mit Irmtraud Schneider. Der Austausch ist beiden Sozialpädagoginnen enorm wichtig.

Durch gezielte Förderung konnte Yasin seinen Entwicklungsrückstand weitestgehend aufholen, Dilan besucht eine Förderschule, in der sie optimal betreut ist. Elin K. freut sich über die positive Entwicklung ihrer beiden größeren Kinder. Während sie in der Schule sind, kann sie sich in Ruhe um das Baby kümmern. Das genießt sie sehr: „Zum ersten Mal habe ich ein Kind, das sich von Anfang an so toll entwickelt.“ Und sie hat mit Hilfe ihrer Betreuerinnen ein Netzwerk um sich herum aufgebaut, das sie in ihrem schweren Alltag entlastet.

Dass sie ihre Mutterrolle heute genießen kann, auch dazu hat die Beratungsstelle ihren Beitrag geleistet. Elin K. hat für sich das Wichtigste überhaupt erkannt: „Ich habe gelernt, dass man im Leben Spaß haben kann, dass man sich etwas gönnen und genießen darf. Das kannte ich vorher nicht.“

Katja Gußmann

*Namen im Text geändert


HINTERGRUND


BETREUTES WOHNEN FÜR FAMILIEN

Das Diakonische Werk Bergstraße bündelt Leistungen des Landeswohlfahrtsverbandes für die Eltern und des Jugendamts zur Förderung der Kinder. Das Betreute Wohnen (im Rahmen der Eingliederungshilfe für Menschen mit seelischer Behinderung) ist eine Hilfe, die sehr passgenau erbracht werden kann. Grundlage dafür ist ein Hilfeplan, der gemeinsam mit den betroffenen Menschen erstellt wird. Die Leistungen des Jugendamtes werden dabei bereits berücksichtigt, d. h. diese sind in die Planung integriert. Der Hilfeplan wird in der regionalen Hilfeplankonferenz beraten. Die Hilfen, und somit auch die Leistungen der Leistungsträger, folgen in der Regel der Empfehlung dieses Fachgremiums.

Vom Diakonischen Werk Bergstraße wird das Betreute Wohnen für Familien seit 2008 angeboten und ermöglicht so betroffenen Müttern und Vätern ein Leben und eine gemeinsame Zukunft mit ihren Kindern – der Erkrankung zum Trotz. 2011 wurde das Projekt mit einem Sonderpreis des Elisabeth-Preises der Diakonie in Hessen ausgezeichnet, weil es die Wohn- und Lebenssituation von Familien verbessert, die von psychischer Erkrankung betroffen sind und das Risiko psychischer Störungen bei den Kindern mindert.

Katja Gußmann/Clemens Näder