Das Hotel KOCHSBERG an der Werra ist ein Integrationsunternehmen. Es gehört zur Kette der Embrace- Hotels, die Menschen mit und ohne Behinderung beschäftigen. Die Identifikation der Angestellten mit ihrem Betrieb ist riesengroß.
MEINHARD. Eigentlich hat er heute Urlaub. Aber da er wegen des Interviewtermins ins Restaurant gekommen ist, hilft Sebastian Senf den Auszubildenden. Gemeinsam decken sie den Tisch vor einem der großen Panoramafenster für eine Damengruppe, die sich zum Nachmittagskaffee angekündigt hat. Sebastian Senf hat selbst seine Ausbildung im Integrationshotel KOCHSBERG gemacht.
Bevor er nach der Schule sein erstes Praktikum im Bistro „amélie“ der Werraland-Beschäftigungsgesellschaft machte, hätte er sich kaum vorstellen können, in der Gastronomie zu landen. Er hatte eher an eine Arbeit im Gartenbau gedacht. Nun ist er hier fest angestellt. Und träumt davon, eines Tages seinen Hauptschulabschluss nachzuholen. Wann und wie, das weiß er noch nicht. Er ist jetzt 24 Jahre alt.
Genauso alt wie Pascal Beyer. Der sitzt in der Empfangshalle, gegenüber der gläsernen Drehtür. Auf seinem Namensschild steht: Rezeptionsleitung. Gleich nach seiner Ausbildung zum Bürofachhelfer wurde er vom Werrataler Rehabilitationszentrum hierher vermittelt. An der Rezeption muss er Rechnungen schreiben, Daten erfassen, mit den Gästen umgehen und telefonieren. Im persönlichen Gespräch erweist sich der Mann, der aufgrund einer Skoliose schwerbehindert ist, als guter Zuhörer. Meine Fragen beantwortet er präzise mit einem höflichen Lächeln. „In der Ausbildung haben wir nur in einer Übungsfirma gearbeitet, hier gehen wir mit richtigem Geld um. Das bedeutet viel mehr Verantwortung.“ Seit er hier ist, hat er gelernt, mit einem neuen Computerprogramm zu arbeiten. Und weil im Frühjahr so viele Veranstaltungen und Hochzeitsfeiern anstanden, hat er sogar den Urlaub an der Ostsee abgesagt. Er wollte einfach nicht fehlen.
Die Identifikation mit dem Hotelbetrieb ist groß. „Wir haben nur positive Erfahrungen gemacht“, sagt Mario Eberhardt, der Betriebsleiter des Hotels. Unter den rund 30 Mitarbeitern seien insgesamt acht Azubis mit und ohne Behinderung und zehn Mitarbeiter aus den Werraland Werkstätten. Ausgebildet wird in den Bereichen Küche, Restaurant und Housekeeping. Als Ausbilder sei er auch Bezugsperson, meint Eberhardt. Die jungen Menschen lernten viel mehr, wenn sie familiär geführt würden, und kämen sogar mit privaten Problemen.
Bei großen Tagungen oder Festgesellschaften kommen die jungen Mitarbeiter schon mal an die Belastungsgrenze, wenn parallel der Restaurantbetrieb weiterlaufen muss. „Das soll einem der Gast aber nicht anmerken“, betont Sebastian Senf. Er hat sich die Sache mit dem regulären Arbeitsvertrag letzten Herbst deshalb ganz in Ruhe überlegt. Er hatte Angst, den Anforderungen nicht gewachsen zu sein. Gleichzeitig sah er die Chance, nicht mehr auf finanzielle Hilfe angewiesen zu sein. Mit den Aufgaben sei das Verantwortungsgefühl gewachsen, sagt er. Nach anstrengenden Arbeitstagen brauche er, wenn er nachts nach hause komme, schon mal eine Stunde, um „`runterzukommen“. So sei das eben in der Gastronomie. „Die aus meiner Familie würden nach einer Woche aufhören…“.
Betriebsleiter Eberhardt kam selbst vor sieben Jahren als Koch zur Werraland-Beschäftigungsgesellschaft. Zunächst arbeitete er in der Großküche am Hessenring in Eschwege. Die Arbeit im Integrationsbetrieb habe ihn von Anfang an fasziniert, sagt er. Er kam aus der freien Wirtschaft und weiß, wovon er redet, wenn er sagt, das sei ein „knallhartes“ Geschäft. Er empfiehlt seinen Mitarbeitern, sich auch außerhalb des „behüteten Umfelds“ einmal umzusehen, um Erfahrung zu sammeln. Sebastian Senf hat das im letzten Jahr getan: in einem Hotelbetrieb in Bad Sooden-Allendorf. Im Restaurant gab es im Extremfall 200 Gäste, erzählt er. Es sei insgesamt viel stressiger gewesen, weil viele der Mitarbeiter untereinander keine Rücksicht genommen hätten. Bei ihm dauere eben manches etwas länger, meint der junge Mann mit Lernschwierigkeiten. Die Brille lässt seine dunklen Augen etwas größer erscheinen und sein Blick ist interessiert und offen. Ein Integrationsbetrieb, sagt Senf, biete Schutz, auch vor innerem Stress.
Eberhardt hat mit seiner Arbeit im Integrationshotel nicht nur eine Aufgabe gefunden, sondern eine Lebensaufgabe, sagt er. Man müsse viel in die Menschen investieren, bekäme aber auch sehr viel zurück. „Menschen mit Handicap merken, wenn man es ehrlich mit ihnen meint.“ Viele Mitarbeiter schauten auch an ihren freien Tagen für eine halbe Stunde vorbei. Da würde auch schon mal mit angepackt, wenn in der Küche ein Geschirrberg gespült werden muss. In einem „normalen“ Betrieb kaum vorstellbar, meint Eberhardt.
Die acht Damen, die am Nachmittag im Restaurant den Kaffeetisch reserviert haben, kennen den Kochsberg teilweise noch aus den 50er oder 60er Jahren, damals eine gediegene Gastwirtschaft, vor dem Umbau und der Neueröffnung 2010. Der Blick von hier über die Landschaft sei „traumhaft schön“. Gefragt, ob ihnen bewusst sei, dass die Hälfte der Belegschaft auf die eine oder andere Weise von einem Handicap betroffen ist, müssen die Damen überlegen: ja, man müsse kleine Abstriche machen, mal würde ein Löffel vergessen, oder das Rechnen ginge manchmal nicht so gut.
Aber, sagt Eberhardt, nur einmal habe es einen Zwischenfall mit einem unzufriedenen Gast gegeben, der bestimmen wollte, welche Mitarbeiter bei seiner Festgesellschaft bedienen sollten und welche nicht. Dem hätte man dann klar sagen müssen, dass er wohl hier im falschen Hotel sei. Gleichzeitig bemühten sich alle, professionell zu sein. „Wir haben viel Publikum aus dem direkten ländlichen Umfeld.“ Wenn man auf diese Gäste einen schlechten Eindruck mache, kämen sie nicht mehr, und es kämen auch keine anderen nach, wie etwa in der Stadt, wo mehr Menschen lebten.
„Viele Gäste von außerhalb bemerken gar nichts“, meint Pascal Beyer. An seinem Rezeptionisten schätzt Eberhardt besonders sein höfliches, diplomatisches Auftreten.
Das Hotel wirbt sogar mit der besonderen Atmosphäre von Menschlichkeit, von der die Gäste nach ihrem Besuch im besten Fall etwas mit nach Hause nehmen. Es gibt viele Stammgäste, die drei- bis viermal im Jahr kommen, um hier Urlaub zu machen.
Auch Beyer hätte vor vier Jahren nie gedacht, dass er einmal „in der Gastronomie landen“ würde. Es sei ein Glücksfall gewesen, direkt nach der Ausbildung hier einen festen Vertrag zu bekommen. „Unverhofft kommt oft“, sagt er, und schmunzelt. Hier gebe es immer Kollegen, die helfen. Die andere Arbeitswelt kenne er nur von Fernsehberichten. Aber er ist sich sicher: Im Hotel KOCHSBERG sei es „zehnmal besser“.
Petra Bühler
HINTERGRUND
Das Integrationshotel KOCHSBERG ist seit 2010 Mitglied der Embrace-Hotelkette, zu der inzwischen 41 Inklusions-Hotelbetriebe in fünf europäischen Ländern gehören. Zuvor wurde das Haus großzügig und barrierefrei umgebaut. Der LWV gab einen Investitionskostenzuschuss von 195.000 Euro. Davon wurden unter anderem Küche, Lager, Kühlraum und Restaurant ausgestattet.
Von den 30 Doppel- bzw. Einzelzimmern sind sechs barrierefrei, es stehen vier modern ausgestattete Tagungsräume mit Platz für bis zu 100 Personen zur Verfügung. Um auch außerhalb der Urlaubssaison für Gäste attraktiv zu sein, hat das Hotel drei wirtschaftliche Standbeine: Neben der Ausrichtung von Seminaren können die Räumlichkeiten für private Feierlichkeiten gemietet werden, und im Restaurant werden das ganze Jahr über kulinarische Veranstaltungen mit regionalen Spezialitäten oder Themenmenüs geboten. Betreiber ist die Werraland-Beschäftigungsgesellschaft (WeBeG), eine Tochterfirma der Werraland Werkstätten e.V.
Die Integrationsfirma beschäftigt 110 Männer und Frauen mit und ohne Behinderung. Im Hotel KOCHSBERG haben rund die Hälfte der 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein körperliches oder geistiges Handicap.
Für acht schwerbehinderte Menschen, die besonders schwer in eine reguläre Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelt werden können, leistet das Integrationsamt Ausgleichszahlungen.
Für vier der Beschäftigten zahlt der LWV einen Ausgleich für die Unterstützung durch andere Kollegen oder für eine gewisse Einschränkung der Leistungsfähigkeit. Eine regelmäßige Förderung erhält die WeBeGe außerdem, weil sie einen der Beschäftigten im Anschluss an eine Tätigkeit in der Werkstatt für Menschen mit Behinderung eingestellt hat.
pb