Karotten, Zitronenthymian, Schmetterlinge und Kugeldisteln bereichern den Schulalltag von Duaa, Alisha und ihren Mitschülern. Der Garten, oder besser gesagt: die Gärten rund um die Schule am Sommerhoffpark eröffnen viele Erlebniswelten, von denen die hörgeschädigten und gehörlosen Schüler profitieren.
FRANKFURT. „Meine Lieblingspflanze ist der Sandthymian“… „meine der Zitronenthymian“ … „ich mag am liebsten die Kugeldistel“ … „und ich Anis – das riecht so lecker nach Lakritz!“ Die Drittklässler stehen rund um ihr neu angelegtes Kräuterbeet auf dem Hof der Schule am Sommerhoffpark in Frankfurt. Sie sind ein wenig nervös, denn an diesem heißen Tag werden sie noch zur Preisverleihung fahren für das beste Schulgartenprojekt. Ein Wettbewerb, den die Frankfurter Sparkasse alljährlich ausschreibt. Die Kinder wissen schon, dass sie unter den Besten sind – nur auf welchem Platz sie landen, wissen sie noch nicht.
Ihr Beet, mit dem sich die Kinder der Klasse 3a beworben haben, ist etwas Besonderes: Die Pflanzen wachsen in einer Baumumrandung. 30 Säcke Erde, insgesamt 1.200 Liter, mussten die Schüler mit ihrer Lehrerin ankarren und zwischen Baum und Einfassung verteilen. Vorher haben sie sorgfältig eine Plane eingebracht, damit die Erde an Ort und Stelle bleibt. Liebevoll bemalte Schilder weisen jedem Kraut seinen Namen zu und eine grüne Box birgt Informationstafeln, so dass jeder, der mag, nachlesen kann, um was es sich genau im Beet handelt. Das Allerbeste aber ist: In den Pausen springt kein Kind mehr über die Umrandung - alle haben Respekt vor den Pflanzen und der vielen Arbeit, die sich die Klasse von Lehrerin Nina Sigmund hier gemacht hat.
Entsprechend stolz sind die Kinder und erklären gerne, welche Arbeitsschritte sie bewältigen mussten, um ans selbstgesteckte Ziel, das Duftbeet, zu gelangen. Bastian erklärt: „Wir haben Löcher in die Erde gemacht und die Pflanzen reingesteckt.“ Er freut sich, dass alles gut angewachsen ist. Die Kinder springen zum nächsten Schulhofbaum, auch um seinen Stamm wachsen rundherum Pflanzen – es ist ihr Schmetterlingsbeet. Mit ihrem besonderen Duft locken die Kräuter die bunten Falter zur großen Freude der Kinder an. Aber auch Bienen finden sich ein. Die Klasse hat tote Bienen, Hummeln, Wespen und sogar eine Hornisse eingesammelt, in Lupengläser gelegt und alle Informationen zu den Insekten fein säuberlich auf Plakate geschrieben. Das ist Sachkundeunterricht, der ihnen großen Spaß macht. Was sie dabei lernen, vergessen sie so schnell nicht wieder.
Saschas Lieblingsblumen sind eigentlich Rosen – die findet er nebenan im Schulgarten, dem Herzstück der Schule. Auf rund 450 Quadratmetern erstreckt sich ein sorgsam angelegtes kleines Paradies mit verwunschenen Ecken hinter hoch wuchernden Hortensien, einem Teich, aus dem das Schilf ragt und an den eine kleine Brücke führt, damit die Kinder einen festen Platz haben, von dem aus sie den Teich beobachten können. Kinder hüpfen an diesem sonnigen, warmen Morgen mit nackten Füßen über den Pfad, der von älteren Schülern geplant und von den jüngeren angefüllt wurde mit allerlei Materialien, die die Fußsohlen auf ganz unterschiedliche Weise kitzeln. Der Barfußpfad ist sehr beliebt. Daneben liegen die Blumen- und Gemüsebeete, die in einem Kreis angelegt sind und jeweils von einer Klasse betreut werden. Das bedeutet viel Arbeit, aber auch Spaß für die Kinder und Lehrer.
Sabine Siebörger ist seit 14 Jahren Lehrerin an der Schule am Sommerhoffpark mit dem Förderschwerpunkt Hören. Ihre Schüler tragen Hörgeräte, teils Cochlea-Implantate. Der Garten ist nicht nur eine Wohltat für die Seele und das Auge, er erfüllt auch ganz besondere pädagogische Ansprüche. Siebörger erzählt, dass manche ihrer Schüler mit einem ganz geringen Alltagswissen und -wortschatz eingeschult werden. Das liege an ihrer Hörschädigung und dem damit einhergehenden schwierigen Spracherwerb. Sie erklärt es an einem ganz praktischen Beispiel: „Wir haben die Kinder gefragt, was wollt ihr denn einsäen? Da haben sie geantwortet: Pommes.“ Siebörger lächelt und beschreibt damit doch ganz genau, woran es einigen Kindern mangelt. Folgerichtig wachsen jetzt Kartoffeln im Beet, die nach der Ernte in der Schulküche zu Pommes verarbeitet werden können.
Die Klasse von Sabine Siebörger und ihrer Kollegin Sonja Wind – sie unterrichten gemeinsam 15 Kinder – hat in diesem Jahr das Gemüsebeet bestellt, auf dem auch Erdbeeren reiften, die längst in den Mägen verschwunden sind. Heute übt sich Duaa im Karottenziehen und Alisha erntet Radieschen. Stolz legen die Mädchen das Gemüse in ihre Ernteschale. Klassenkameraden der beiden haben sich auf die Bank neben den selbst gebauten Insektenhotels gesetzt und zeigen ihre Gartenbücher, die sie im Unterricht gestaltet haben: Jede Pflanze, die sie gesät haben, hat eine eigene Seite, auf der sie gezeichnet und beschrieben ist.
Die Klasse A2c von Alexa Schaun präsentiert auch Bücher – in Schmetterlingsformat. Und schon ziehen die Kinder die Besucher am Arm hin zu ihrem Beet: „Hier ist unser Schmetterlingsbeet“, rufen sie und ihre Lehrerin fordert sie auf, von den Distelfaltern in ihrem Klassenraum zu erzählen. Sie nimmt dabei die Gebärdensprache zu Hilfe. Im Klassenraum? „Ja, da war eine Raupe im Glas“, erzählt Justus, „die hat sich dann aufgehängt und verpuppt, da war sie groß und ist dann kleiner geworden.“ Und Mesa erzählt weiter: „Dann ist der Schmetterling geschlüpft.“ „In ein Netz“, ergänzt Leon. Und Paul sagt: „Der hatte am Anfang nasse Flügel und konnte nicht fliegen.“
Den Kindern ist anzumerken, wie sehr sie sich mit ihrer Aufgabe im Garten identifizieren. Es sind ihre Schmetterlinge, es ist ihr Beet. „Das ist auch ganz wichtig für das Sozialverhalten und das Gemeinschaftsgefühl“, erklärt ihre Lehrerin. „Die Kinder lernen, gemeinsam zu arbeiten.“ Sie lernen auch die Zusammenhänge zwischen Pflanzen und Insekten, den Kreislauf der Natur kennen. „Sie sind so achtsam geworden, entdecken überall Raupen, finden Eier von Schmetterlingen, haben Respekt vor der Natur. Das Arbeiten am Lebendigen ist einfach etwas Besonderes“, sagt Alexa Schaun.
Im Garten der Schule sind auch Regeln zu beachten. Ein großes Plakat am Geräteschuppen, mit Fotos bebildert, weist darauf hin. Selbstverständlich ist auch diese Hinweistafel von den Kindern selbst gestaltet worden. Die Regeln müssen strikt eingehalten werden, doch dafür sorgen die Kinder schon untereinander. Zum Beispiel darf man nicht einfach im Nachbarbeet ernten, da muss man erst um Erlaubnis fragen. Normalerweise gehen die Kinder während der Unterrichtszeit mit ihren Lehrerinnen zur Gartenarbeit. Doch einmal in der Woche öffnet der Garten auch zu bestimmten Stunden während des Nachmittagsunterrichts, dann heißt es „Offener Garten“. Schüler der Klasse 5a haben diese Zeiten genutzt, um ein Beerenbeet anzulegen, ganz ohne Verpflichtung und in ihrer Freizeit. Siebörger freut sich darüber, denn es zeigt, dass die Kinder ihren Garten auch dauerhaft annehmen und nicht nur projektgebunden betreten. Allerdings, so räumt sie ein, bleibt den meisten Kindern ab der fünften Klasse nicht mehr so viel Zeit zum Gärtnern.
Etwa acht der 40 Lehrkräfte der Schule, deren Träger der Landeswohlfahrtsverband Hessen ist, sind in die Gartenarbeit eingebunden. Sie sorgen auch dafür, dass während der großen Ferien gemäht und gegossen wird. „Es fordert schon einen großen persönlichen Einsatz, aber es lohnt sich“, ist Siebörger überzeugt. Schon seit vielen Jahren nimmt die Schule am Wettbewerb der Frankfurter Sparkasse teil. Fast jedes Jahr kann die Schule am Sommerhoffpark einen Preis einstreichen. So auch dieses Jahr: Auf der Preisverleihung dürfen die Kinder jubeln, sie bekommen den zweiten Preis in der Kategorie Großprojekte. Die Schule hatte sich mit den Baumumrandungsbeeten, dem Schmetterlingsbeet und dem Beeren- und dem Gemüsebeet beworben. 400 Euro Preisgeld bekommen sie dafür. Die Scheine werden natürlich – nach ihrer Metamorphose in echte Blüten – wieder in die Beete eingesetzt, von den Kindern.
Katja Gußmann
HINTERGRUND
Die Schule am Sommerhoffpark (SamS) mit dem Förderschwerpunkt Hören ist ein Überregionales Beratungs- und Förderzentrum und liegt im Frankfurter Gutleutviertel. 189 Kinder und Jugendliche lernen dort. Ihre Eltern haben sich bewusst für eine hörgeschädigtenspezifische sonderpädagogische Förderung an der Sams statt einer inklusiven Beschulung entschieden. Im Unterricht kommen Höranlagen ebenso zum Einsatz wie Gebärdensprache. In allen Bereichen orientieren sich die Förderangebote an den individuellen Fähigkeiten, Stärken und Interessen jedes Kindes. Konzept ist es, dass zum Unterricht ein hoher Grad an Visualisierung gehört. Reale Begegnungen sind Teil des Konzepts, z.B. vor Ort im Schulgarten, aber auch im angrenzenden Sommerhoffpark sowie beim Besuch außerschulischer Lernorte wie Museen, Theater, Kulturdenkmäler etc. In der Ganztagsschule sind Unterricht und Ganztagsangebote eng aufeinander abgestimmt.
Daneben betreuen Lehrkräfte der SamS mehr als 400 Schülerinnen und Schüler ambulant an unterschiedlichen allgemeinbildenden Schulen.
Mehr als 220 Kinder zwischen 0 und 6 Jahren werden von der Interdisziplinären Frühberatungsstelle betreut. „Wir bieten jedem Kind die größtmöglichen Chancen zur Selbstständigkeit, die Förderung der sozialen Kompetenzen ist uns wichtig“, betont Indra Schindelmann, die kommissarische Schulleiterin. „Ziel ist es, die Schülerinnen und Schüler zu einem Schulabschluss zu führen, sie für die anschließende Berufsfindung vorzubereiten aber auch zum Besuch anderer Schulen zu befähigen.“ Die Schule in Trägerschaft des LWV verstehe sich zudem als Zentrum, an dem Schülerinnen und Schüler mit Gebärdensprache lernen, sich eine Identität als Hörgeschädigte zu erarbeiten, sich eine Peergroup aufzubauen sowie Zugang zur Gebärdenkultur zu erwerben.
ebo/Indra Schindelmann