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Struwwelpeters Mitarbeiter

Struwwelpeters Mitarbeiter

Das Struwwelpeter-Museum in Frankfurt bietet Arbeit für Menschen mit Psychiatrieerfahrung. Marcus Dornbach ist einer von ihnen.

FRANKFURT. Das Frankfurter Struwwelpeter-Museum ist in Trägerschaft der frankfurter werkgemeinschaft e.V. und bietet psychisch kranken Menschen eine ganz besondere berufliche Perspektive.

Ihm stehen die Haare zu Berge, die Fingernägel schneidet er nicht. Und gerade deswegen hat es der unartige Frankfurter Bub zu großer Berühmtheit gebracht: Der Struwwelpeter. Kinder und Erwachsene in aller Welt kennen ihn. Das Interesse an ihm und seinen Kollegen – dem fliegenden Robert, dem Paulinchen, das mit dem Feuer spielte oder dem Suppenkasper – ist so groß, dass er in seiner Heimatstadt ein eigenes Museum bewohnt. Eine flammend rot gestrichene Altbauvilla im vornehmen Frankfurter Westend beherbergt auf vier Etagen alles, was es rund um den Struwwelpeter zu gucken, lesen und zu sagen gibt: Erstausgaben, Kunstwerke, Puppen bis hin zu den persönlichen Notizen seines Schöpfers Dr. Heinrich Hoffmann, dem Arzt, der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht nur den Struwwelpeter aufs Papier bannte, sondern mit ganz neuen Ideen die Psychiatrie in Frankfurt reformierte.

Dass das Struwwelpeter-Museum etwas ganz Besonderes ist, spürt man schon am Empfang. In diesem Haus ticken die Uhren anders als in den großen Museen am Mainufer. Denn hier wird der Besucher ganz persönlich empfangen und fühlt sich eher wie zu Besuch in der guten Stube des Dr. Hoffmann. Diese Atmosphäre schaffen die Mitarbeiter. „Wenn ich am Eingang sitze, begrüße ich die Gäste, gebe ihnen eine kleine Einführung in unser Haus, zeige auch unseren Museumsshop und stehe für alle Fragen zur Verfügung“, sagt einer von ihnen, Marcus Dornbach, und beschreibt damit seine Aufgabe, der er mit großer Freude tagtäglich nachgeht.

Eine Tätowierung am Hals lässt erahnen, dass der 42-Jährige nicht immer im Museum gearbeitet hat. „Früher war ich DJ, hatte sogar mal ein dreiviertel Jahr lang eine eigene Sendung mit einem Kollegen auf dem Musiksender Viva“, erzählt er. Bis, ja, bis ihn seine Krankheit ereilte und jäh aus den gewohnten Bahnen riss. Da war er Mitte 20, die Welt stand ihm offen, er studierte Amerikanistik, legte Platten auf, wie er es schon während der Schulzeit getan hatte. „Ich war Musiker, war Künstler“, erzählt er. Dann fing er an, Stimmen zu hören: „Ich dachte, die seien real.“ Ohne jegliches Selbstmitleid kann er heute darüber sprechen, wie die Psychose sein Leben veränderte. Wie er erst die Arbeit, dann seine Wohnung verlor und sich irgendwann in einer Klinik wiederfand. Psychopharmaka und Therapien halfen ihm, sein Leben wieder in gerade Bahnen zu lenken. Jahrelang lebte er durchaus gern in betreuten Wohngruppen, bis er vor acht Jahren wieder eine eigene Wohnung beziehen konnte.

Über 15 Jahre arbeitete Dornbach in der Werkstatt der frankfurter werkgemeinschaft e.V., dem Träger von Angeboten für psychisch kranke und behinderte Menschen, zu dessen Einrichtungen auch das Struwwelpeter-Museum gehört. Hauptkostenträger der frankfurter werkgemeinschaft und damit der meisten Werkstattarbeitsplätze ist der Landeswohlfahrtsverband Hessen.

ALTERNATIVE ZUR WERKSTATT

Dornbach fühlte sich psychisch stabil und wollte sich mit dem Verpacken und Falzen von Briefen nicht länger zufrieden geben. In Tanja Schnee fand er seine Ansprechpartnerin, die als Fachkraft für berufliche Integration die rund 220 Mitarbeiter der Werkstatt berät, wenn ein Veränderungswunsch besteht. Sie betreut ihre Klienten auch nach dem Wechsel auf einen Betriebsintegrierten Beschäftigungsplatz – kurz: BiB - wie seit dem Hessischen Übergangspapier 2013 die früheren Außenarbeitsplätze einer Werkstatt für behinderte Menschen genannt werden. „Wir vermitteln in verschiedene Betriebe. Das Struwwelpeter-Museum ist natürlich ein ganz besonderer. Für Herrn Dornbach passte das sehr gut, weil er hier seine kommunikativen Fähigkeiten einsetzen kann, er spricht ja auch sehr gut Englisch“, erklärt sie ihre Empfehlung in Dornbachs Fall für das Museum. Diese Form der Integration seelisch behinderter Menschen in den Arbeitsalltag und das kulturelle Leben hätten auch Heinrich Hoffmann gut gefallen. 1864 eröffnete er seine „Anstalt für Irre und Epileptische“, in der psychisch Kranke nicht weggesperrt sondern therapiert wurden – unter anderem durch die heilsame Kraft der Arbeit und Beschäftigung und der Anerkennung ihrer Leistung.

IM SINNE HEINRICH HOFFMANNS

In diesem Sinne gründete die frankfurter werkgemeinschaft 1977 das Heinrich-Hoffmann-Museum, das erst 30 Jahre später in Struwwelpeter-Museum umbenannt wurde. Die Zielsetzung war damals schon klar: Die Arbeit des Museums sollte auch von seelisch behinderten Menschen getragen werden, die für die Arbeit in einer Werkstatt überqualifiziert, aber für den ersten Arbeitsmarkt noch nicht bereit waren. Hier sollte der Geist Hoffmanns erlebbar sein für den Museumsbesucher, der zunächst den Struwwelpeter sucht und hinter ihm den Nervenarzt Hoffmann findet. Im Vorbeigehen erleben die Besucher den Kontakt zu den Mitarbeitern des Hauses, die sich selbst auf ihrem Weg der Rehabilitation befinden, sich in ihrer Museumsarbeit den Anforderungen des Arbeitsmarktes stellen und sich erproben können. Sie selbst sind das beste Beispiel dafür, wie positiv sich eine sinnvolle Arbeit auf den Gesundungsprozess auswirkt.

So sind drei weitere Werkstatt-Mitarbeiter beim Struwwelpeter im Einsatz: In der Haustechnik sowie in der Verwaltung und Organisation. „Wir verstehen uns in der Regel gut“, erzählt Dornbach und betont, wie wichtig das gute Arbeitsklima im Haus für das Wohlbefinden ist. Heute, nach knapp zwei Jahren im Dienste des Struwwelpeters sagt er, er habe erst hier sein Potenzial wieder entdeckt. Am Telefon erledigt er das Event-Booking für Führungen, Kindergeburtstage oder Theatervorstellungen – und hat so gut wie keine Fehltage. Das Museum ist sein zweites Zuhause geworden. Daran ist auch seine Chefin nicht ganz unschuldig.

Beate Zekorn-von Bebenburg leitet das Haus schon seit 1991. Damals war der Museumsbereich noch viel kleiner, denn in der Gründerzeitvilla waren die Druckerei der Werkstatt und Büroräume untergebracht. Erst nach und nach eroberte das Museum Etage für Etage, ehe die Werkstatt komplett auszog und das Haus sich seit 2007 als Struwwelpeter-Museum präsentieren kann. Zekorn-von Bebenburg selbst ist Angestellte des Museums, das sich aus Zuschüssen der Stadt und eigenen Einnahmen finanziert. „Als ich meine Stelle antrat, hatte ich keine Vorerfahrung mit psychisch kranken Menschen“, erzählt die Philologin. Doch schon bald erwies sie sich mit ihrer ruhigen, besonnenen Art als Idealbesetzung für die ihr übertragene Aufgabe.

ARBEIT STRUKTURIEREN

„Sicherlich ist es notwendig, die Arbeit für die Mitarbeiter sehr gut vorzustrukturieren“, berichtet sie von den Abläufen im Haus. Aber nur einmal in all den Jahren habe sie es erlebt, mit einer Mitarbeiterin nicht klar gekommen zu sein. Für viele sei das Museum ein sehr wichtiger Bestandteil ihres Lebens geworden. „Einer unserer Mitarbeiter, der seit 1981 bei uns war, ist jetzt in Rente – und arbeitet ehrenamtlich weiter für uns“, freut sie sich. Nicht nur ihm gibt die Arbeit im Museum Sinn und Struktur im Leben.

Bei allen positiven Effekten gibt es dennoch einen Punkt, der Markus Dornbach zu schaffen macht: der vergleichsweise geringe Verdienst. Torsten Neubacher, Geschäftsführer der frankfurter werkgemeinschaft, kann ihn verstehen. „Aus Herrn Dornbachs Sicht ist das nachvollziehbar“, sagt er, „doch da es sich um ein Betriebsintegriertes Beschäftigungsverhältnis im Museum handelt, erhält er den Werkstattlohn, da er ja noch immer Beschäftigter der Werkstatt ist. Häufig sind Menschen mit psychischer Erkrankung Schwankungen in ihrer Leistungsfähigkeit ausgesetzt. Ein BiB bietet gerade dann, wenn es einem Menschen sehr schlecht geht, die Möglichkeit, ihn aufzufangen und gegebenenfalls phasenweise in der Werkstatt weiter zu beschäftigen.“

Das Konzept der BiBs sieht vor, langfristig die Beschäftigten für den ersten Arbeitsmarkt fit zu machen. In der Praxis erweist sich dieser Weg nicht immer als gangbar. Dann können BiBs dazu beitragen, dass sich gerade seelisch behinderte Menschen in einem für sie sicheren Rahmen bewegen, der eine sinnvolle Tätigkeit ermöglicht, ohne die härteren Bedingungen einer Anstellung außerhalb der Werkstatt. „Wir dürfen bei aller Freude über die positive Entwicklung der Museumsmitarbeiter nicht vergessen“, betont Neubacher, „dass es nur ein ganz kleiner Teil der Werkstattbeschäftigten ist, die es überhaupt auf einen BiB schaffen.“ Marcus Dornbach jedenfalls möchte sich sein Arbeitsleben ohne das Struwwelpeter-Museum nicht mehr vorstellen: „Früher bin ich viel gereist, das kann ich heute schon aus finanziellen Gründen nicht mehr. Aber wir bekommen im Museum Besuch aus der ganzen Welt – da komme ich auch mit ganz anderen Kulturen in Kontakt. Das ist schön.“

Katja Gußmann