Dass betriebsintegrierte Beschäftigung ein Erfolg für alle Beteiligten sein kann, zeigen Beispiele im Catering: Eurest und Sander-Catering machen gute Erfahrungen mit Mitarbeitern, die statt in einer Werkstatt für behinderte Menschen zu arbeiten, einen Platz im Küchenteam gefunden haben.
FRANKFURT. Tomaten schneiden? Kein Problem. Brötchen belegen? Mit Freude! Eben schnell das Altpapier wegbringen? Sicher doch. Julia Gaussmann hat Spaß an ihrer Arbeit, die sie den ganzen Tag auf Trab hält. "Nichts ist für mich schlimmer als Rumstehen und mich langweilen", sagt die 42-Jährige, die seit August 2017 in der Eurest-Betriebsverpflegung bei Continental Teves in Frankfurt-Rödelheim beschäftigt ist. Ihr Chef Norbert Fritz steht neben ihr an der Salattheke und lächelt. Der Betriebsleiter weiß seine Mitarbeiterin zu schätzen. Rund 1.000 Essen verantwortet er am Tag, wacht über ein knapp 50 Menschen zählendes Küchenteam, das neben den Mittagsgästen noch für Frühstück in der Café-Bar zuständig ist und täglich 160 Pizzen backt. Ganz zu schweigen von den vielen Veranstaltungen und Konferenzen, die zu bedienen sind. Hier ist jede helfende Hand willkommen.
Julia Gaussmann hilft gerne. Sie ist eine ganz besondere Mitarbeiterin im Team. Anders, als ihre Kolleginnen und Kollegen, ist sie nicht direkt bei Eurest angestellt. Sie ist Beschäftigte der Werkstatt Schlocker-Stiftung der EVIM Behindertenhilfe in Hattersheim. Eurest hat mit der Schlocker-Stiftung einen Vertrag über Betriebsintegrierte Beschäftigung (BiB) für beeinträchtigte Mitarbeiter aus einer Werkstatt geschlossen. Der Vertrag regelt Arbeitszeit und Entgelt, dessen Höhe individuell verhandelt wird, je nachdem, wie leistungsfähig der oder die Werkstattbeschäftigte ist. Das bedeutet, Julia Gaussmann behält ihren Status als Beschäftigte der Werkstatt bei, die Schlocker-Stiftung zahlt weiterhin die Sozialabgaben und schickt Eurest monatlich eine Rechnung über das Entgelt. So läuft die Mitarbeiterin außerhalb der normalen Personalbuchhaltung und ist eine zusätzliche Kraft, ersetzt also keinen regulären Mitarbeiter. Auch wenn kein direktes Arbeitsverhältnis besteht, zählt der Arbeitsplatz dennoch zu den Pflichtplätzen nach dem Sozialgesetzbuch IX und erspart dem Betrieb einen Teil der Ausgleichsabgabe. 50 Prozent der Entgeltzahlung an die Werkstatt können hierfür angerechnet werden.
"Tatsächlich ist es so, dass ich als Arbeitgeber keinerlei Risiko eingehe", sagt Norbert Fritz, "aber ich trage dennoch die Verantwortung für einen Mitarbeiter, der vielleicht ein bisschen mehr auf Unterstützung angewiesen ist, als andere. Es muss klar sein, dass mit Betriebsintegrierter Beschäftigung keine Fachkraft billig ersetzt wird. Entscheidend ist die soziale Motivation." Julia Gaussmann bestätigt, dass ihr das Vertrauensverhältnis zum Chef sehr wichtig ist. Gerade anfangs, als sie neu im Betrieb war, fühlte sie sich noch unsicher. Heute sagt sie: "Meine Kollegen sind für mich wie eine Ersatzfamilie." Dass sie sich so fühlen darf, ist eine Teamleistung. Für Menschen, die zuvor noch nicht unter Bedingungen des ersten Arbeitsmarktes gearbeitet haben, ist allein die Geschwindigkeit, mit der Brötchen belegt und Gemüse geschnitten werden, eine Herausforderung. Da braucht es von allen Seiten Geduld, bis für die neue Mitarbeiterin der ideale Platz in der Küchenmannschaft gefunden ist.
RICHTIGE AUFGABE FINDEN
Nicht immer verläuft alles so wie gewünscht. Norbert Fritz musste sich von einem Mitarbeiter wieder trennen, nachdem zwei Jahre lang alles gut geklappt hatte. "Leider wurde der junge Mann aufgrund seiner Beeinträchtigung sehr anstrengend für das Team, er brauchte sehr viel Aufmerksamkeit, das war auf Dauer in unserem Betrieb nicht zu leisten", bedauert er, denn im Grunde hatte er gute Arbeit geleistet. In diesem Fall half der Betreuer Ralf Thies weiter, der bei der Schlocker-Stiftung für die berufliche Integration zuständig ist. Er fand für den jungen Mann eine anderweitige Beschäftigung. So bedarf es immer wieder einmal der Überprüfung, ob die Aufgabe im Unternehmen noch passt.
Das erzählt auch Sabine Sorbillo-Wasmundt, Serviceleiterin BR West im IndustrieparkHöchst, Frankfurt. Ehe sie die Verantwortung am Chemiestandort für rund 1.000 Essen 2012 übernahm, war Norbert Fritz ihr Chef. Als er zu Continental Teves wechselte, übernahm sie auch die drei Mitarbeiter aus der Schlocker-Stiftung, die zu diesem Zeitpunkt bereits ins Küchenteam integriert waren: "Claudia ist jetzt schon sieben Jahre bei uns", sagt sie über die 31-Jährige, die sie auch im Büro unterstützt und an der Essensausgabe zum Einsatz kommt. Steffi und Aron sind beide Mitte 20 und arbeiten in der Küche mit, belegen Pizzen oder machen Salat. "Man muss ihnen nur etwas zutrauen. Häufig können sie viel mehr, wenn sie entsprechend gefordert sind", sagt Sorbillo-Wasmundt. Gibt es Probleme, führt sie ein Gespräch mit dem Betreuer der Werkstatt, Ralf Thies. Hier findet sie Unterstützung und auch immer eine Lösung. Genauso wie die behinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für die Thies jederzeit ein offenes Ohr hat. Aber Probleme kämen selten vor, so sagt sie, ihre Mitarbeiter der Schlocker-Stiftung seien hoch motiviert. "Claudia kommt auch mal in ihrem Urlaub bei uns vorbei und sagt: 'ich vermisse euch'", erzählt sie und freut sich darüber. Aber es gibt auch die andere Seite der Medaille: "Wenn ich selbst im Urlaub bin, fehlt der feste Bezugspunkt, die führende Hand", erklärt Sorbillo-Wasmundt. Dann kommt mal einer zu spät oder verschwindet während der Arbeitszeit. Daraus hat man gelernt. "Wichtig ist eine feste Ansprechperson, bin ich nicht da, ist das unser Souschef."
FESTE BEZUGSPERSONEN
Geregelte Arbeitszeiten, feste Abläufe und Bezugspersonen sowie klar definierte Aufgabenbereiche geben den Menschen mit Behinderung Halt im Arbeitsalltag, und, ganz wichtig: "Eins nach dem anderen", sagt Julia Gaussmann. Arbeitsaufträge wie: "erst schneidest du Tomaten, dann steckst du 100 Garnelenspieße und anschließend putzt du den Salat" überfordern schnell. Wenn das im Team klar ist, können die hochmotivierten Mitarbeiter schnell zur Seele des Betriebs avancieren. Auch Sander-Catering hat Erfahrung mit betriebsintegrierter Beschäftigung. An der Pestalozzi-Schule in Raunheim arbeitet Kristian Eder. Der junge Mann hat, bevor er bei Sander-Catering anfing, in den Werkstätten für Behinderte Rhein-Main e.V. (WfB) eine Ausbildung im Bereich Catering durchlaufen. Die Abteilung Berufsbildung der WfB arbeitet bereits seit einigen Jahren mit der IHK Darmstadt zusammen und hat auf der Basis einer regulären Berufsausbildung Qualifizierungsmaßnahmen speziell für Menschen mit besonderem Förderbedarf entwickelt, die mit IHK-Prüfung abgeschlossen werden. Im Angebot sind verschiedene Bereiche, unter anderem Hauswirtschaft/Catering und Bürokommunikation. Über ein Jahr hinweg heißt das für die Werkstattbeschäftigten Unterricht an einer Berufsschule besuchen und praktische Arbeit im Betrieb leisten. Ziel ist es, die Chancen auf einen regulären Arbeitsplatz zu erhöhen. Thomas Liesenberg arbeitet für die WfB und ist zuständig für berufliche Integration. Er sagt: "Natürlich ist das langfristige Ziel, Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt für unsere Klienten zu finden. Die integrierte Beschäftigung ist ein erster Schritt, der Arbeiten unter 'realen' Bedingungen ermöglicht und zugleich den Schutz der Werkstatt bietet."
Kristian Eder macht sich gut im Team bei Sander-Catering. Er regeneriert die Speisen für die Schüler, arbeitet an der Essensausgabe, spült Geschirr und hilft bei der Reinigung der Küche. Gebietsleiter Philipp Sander, der für Schulen zuständig ist, erhält nur positive Rückmeldungen aus dem Küchenteam: "Herr Eder ist sehr selbstständig und engagiert. Nur in seltenen Fällen muss man ihn auf Kleinigkeiten hinweisen. Doch da, wo seine Einschränkung an der einen oder anderen Stelle auffällt, kompensiert er dies durch Einsatzbereitschaft und Leidenschaft. Er macht einen tollen Job."
Katja Gußmann