Logo zum LWVblog Logo Instagram Logo Facebook Logo Linkedin

"Ein gutes Leben"

"Ein gutes Leben"

Gemeinsam mit dem Verein "die Brücke" für Psychosoziale Hilfen im Kreis Hersfeld-Rotenburg präsentiert sich der LWV Hessen in diesem Jahr beim Hessentag in Bad Hersfeld. Vom 7. bis zum 16. Juni geben beide als Kooperationspartner in Halle 1 an Stand 109 der Landesausstellung Einblicke in die vielfältigen gemeindenahen Angebote. Diese helfen psychisch kranken Menschen, sich zu stabilisieren und Psychiatrieaufenthalte zu vermeiden. Mit Erfolg - wie die Beispiele von Ursula Hackelberg und Katerina Szebenyiova zeigen.

BAD HERSFELD. "Ich zeig' ihnen jetzt erst mal die Küche. Hier helfe ich gerne. Das macht mir viel Spaß", sagt Ursula Hackelberg und geht voran. Die Treppe hinunter und über einen Flur führt sie die Besucher in die Küche der Tagesstätte vom Verein "die Brücke". Es steht Suppe auf dem Speiseplan. Da ist einiges an Kartoffeln und Gemüse zu schnippeln. Die Küche ist einer von mehreren Bereichen, in denen Ursula Hackelberg im Einsatz ist. "Am liebsten stelle ich Anzünder her. Die werden zum Beispiel für Kamine gebraucht, das ist sinnvoll", erklärt sie und zeigt als nächstes ihren Arbeitsplatz in der Werkstatt, die sich ein paar Türen weiter befindet. Konzentriert steckt sie mit flinken Fingern einen Anzünder zusammen. "Davon schaffe ich am Tag 42 Stück."

Für Ursula Hackelberg ist die Tagesstätte in Bad Hersfeld so etwas wie ein zweites Zuhause. "Hier bekomme ich Verständnis und Hilfe und hier habe ich Freundinnen gefunden. Das ist mein neues Leben und es ist ein gutes Leben. Vorher war es schwer genug", sagt sie.

GEWITTER IM KOPF

Vorher, das war ihr Leben in Nordhessen, wo sie drei Kinder allein großgezogen hat. "Als ich 56 Jahre alt war, merkten meine Kinder, dass ich mich verändert habe", erinnert sich Ursula Hackelberg. Sie hatte ihren Haushalt nicht mehr im Griff, entwickelte viele Ängste und konnte kaum noch essen, weil sie dachte, ihre Nahrung wäre vergiftet. Ein halbes Jahr wurde sie aufgrund einer Psychose in der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Bad Emstal behandelt. "Dort hat man mir mit Medikamenten geholfen, das Gewitter in meinem Kopf zu beheben." Nach dem Klinikaufenthalt vermittelte der LWV Ursula Hackelberg eine Familie, bei der sie im Rahmen des Begleiteten Wohnens lebt und die sie im Alltag unterstützt. "Das Ehepaar hilft mir bei den Einkäufen, wir essen zusammen und unterhalten uns", beschreibt sie.

In ihrem neuen Leben ist Ursula Hackelberg angekommen. Elegant gekleidet, die silbergrauen Haare frisiert, das Gesicht dezent geschminkt, zeigt sie die Räume der Tagesstätte, die sie von montags bis freitags besucht. Vormittags arbeitet sie mit in der Hauswirtschaft oder im Werkstattbereich, dann steht ein gemeinsames Mittagessen auf dem Programm und am Nachmittag gibt es Interessengruppen und Freizeitangebote. "Ich mache meistens Spiele und unterhalte mich mit den Leuten. Hier habe ich gelernt, besser mit anderen Menschen zurechtzukommen", erzählt sie. "Wir loben uns und manchmal streiten wir und die Mitarbeiter helfen uns, wenn es mal zu hitzig wird. Früher hatte ich vor allem Angst. Jetzt ist es besser. Meine Betreuungsfamilie und 'die Brücke' kümmern sich toll um mich und ich war in den letzten acht Jahren nicht einmal krank." Dass es ihr wieder so gut geht, das liegt auch daran, dass die regelmäßige Tagesstätten-Besucherin bereit ist, sich helfen zu lassen. "Sie nehmen sich die Unterstützung, die sie brauchen", lobt Erwin Binkofski vom geschäftsführenden Vorstand der "Brücke".

NÄHE ZU DEN BETREUERN

Ihre gute Laune gibt Ursula Hackelberg gern an andere weiter. Für jeden, den sie trifft, hat sie ein freundliches Wort. Auch für Katerina Szebenyiova, die zu Besuch in die Tagesstätte gekommen ist. Die beiden Frauen kennen sich gut, denn auch für Katerina Szebenyiova war "die Brücke" lange Zeit ihr Zuhause. Mehr als zehn Jahre lang hat sie in einem Apartment im intensiv betreuten Wohnen gelebt und tagsüber die Angebote der Tagesstätte genutzt. "Ich habe alles mitgemacht", erzählt die 36-Jährige, die mit 16 Jahren aus Tschechien nach Deutschland gekommen ist. Sie lebte zunächst mit ihrer Großmutter und dem Stiefvater zusammen, zog aber nach Gewalterfahrungen ins Frauenhaus. "Ich war schwer depressiv und brauchte Hilfe", erklärt Katerina Szebenyiova. Und so zog sie 2005 in ein Apartment der "Brücke". "Das Wichtigste war mir immer die Nähe zu den Betreuern. Es war immer jemand da, den man ansprechen konnte. Man war nie allein", betont sie.

Die Verbundenheit ist geblieben, auch wenn Katerina Szebenyiova seit einigen Monaten in einer eigenen Wohnung lebt und seit über zwei Jahren halbtags beim Logistikzentrum Libri arbeitet. Freudig umarmt sie bei ihrem Besuch in der Tagesstätte die Mitarbeiterinnen in der Küche und plaudert im Aufenthaltsraum mit Bekannten. Besonders lang kennen sich Katerina Szebenyiova und Petra Wilke. Die Leiterin des Bereichs Wohnen hat früher im Frauenhaus gearbeitet, bevor sie zum Verein "die Brücke" kam. Die Entwicklung von Katerina Szebenyiova hat sie über viele Jahre begleitet.

Eine Entwicklung, die nicht ganz gradlinig verlaufen ist. "Am Anfang war ich sehr froh, so intensiv betreut zu werden. Dann ging es mir immer besser und ich habe Praktika in der Hauswirtschaft und in einem Lädchen gemacht und mir auch eine Ausbildung zugetraut. Dann wurde meine Krankheit wieder sehr schlimm und ich musste in die Klinik und von vorne aufgepäppelt werden", erinnert sich Katerina Szebenyiova. Doch trotz der Rückschläge verlief die Entwicklung positiv. "Und dann hast du gesagt: Ich schaffe das alleine", sagt Petra Wilke.

„MAN MUSS SICH ETWAS ZUTRAUEN“

Heute tritt Katerina Szebenyiova selbstbewusst und energiegeladen auf. Sportlich gekleidet, die langen braunen Haare zum Dutt aufgesteckt, erzählt sie aus ihrem Alltag, den sie weitestgehend selbstständig bewältigt. Arbeit, einkaufen, kochen, die Wohnung in Ordnung halten - all das meistert sie. "Es fühlt sich noch ungewohnt an. Aber man muss sich auch etwas zutrauen. Ich will es allein schaffen. Ich weiß aber auch, dass im Hintergrund immer jemand da ist. Das beruhigt mich", sagt Katerina Szebenyiova.

Einmal pro Woche trifft sie sich mit einem Betreuer des Betreuten Wohnens. "Dann sprechen wir darüber, was brennt, ob etwas mit Ämtern geregelt werden muss oder ich erzähle, wenn mir etwas auf der Seele liegt. Und wenn ich merke, es geht in eine Phase, wo es schwieriger wird, dann sage ich Bescheid."

Katerina Szebenyiova und Ursula Hakkelberg haben mit Unterstützung der "Brücke" ihren Platz im Leben gefunden und gehen offen mit ihrer Erkrankung um. "Eine psychische Krankheit ist nicht etwas Schlimmes, über das man nicht reden darf. Aber viele Menschen reagieren sehr unsicher oder denken, dass psychisch kranke Menschen bescheuert sind. Aber so ist es ja nicht. Ich glaube, dass viele Leute psychische Probleme haben. Wir haben eben eine offizielle Diagnose und können an uns arbeiten", erklärt Katerina Szebenyiova und Ursula Hackelberg stimmt ihr zu.

Meike Schilling

HINTERGRUND

"DIE BRÜCKE" - VEREIN FÜR PSYCHOSOZIALE HILFEN

"die Brücke" begleitet und betreut seit 1989 psychisch erkrankte und seelisch behinderte Menschen. Die Angebote des Vereins sind: die Psychosoziale Kontakt- und Beratungsstelle (PSKB), das Ambulant Betreute Wohnen in den eigenen vier Wänden oder in acht Apartments im "Haus Grüner Weg", das "Elke-Kamm-Haus" (zwölf stationäre Plätze), die Tagesstätte (37 teilstationäre Plätze) und der Integrationsfachdienst. Diese Angebote werden überwiegend vom LWV Hessen finanziert.

Die Tagesstätte bietet von montags bis freitags Angebote im Bereich Beschäftigung, Bewegung und geistiges, kreatives Arbeiten an. Es wird gemeinsam gegessen und auch Ausflüge stehen auf dem Programm. Die PSKB bietet Beratung, themenbezogene Gruppenangebote, einen Café-Treff, Freizeitangebote und "Stepps" - ein Trainingsprogramm bei Borderline - an. Ein weiteres Angebot der "Brücke" ist der Mit-Lauf-Treff, der einmal pro Woche unter Anleitung von geschulten Laufbetreuern (Jogging und Nordic Walking) stattfindet.

Der Verein arbeitet auch im Verbund mit anderen Trägern wie der Suchtberatung und Werkstätten gut zusammen und ist vernetzt mit externen Anbietern wie zum Beispiel Sportvereinen.

Meike Schilling