Bei der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen geht der LWV Hessen mit gutem Beispiel voran: 249 Frauen und Männer waren es Ende 2018. Mit 17,64 Prozent ist dies die bisher höchste Quote überhaupt - dreieinhalb Mal mehr als die gesetzlich festgelegten fünf Prozent. Die Zahlen zeigen: Schwerbehindertenvertretungen (SBV) tragen zur Teilhabe am Arbeitsleben sehr viel bei. Ute Groß ist gewählte Vertrauensperson beim LWV und Gesamtschwerbehindertenvertreterin (GSBV). Sie hat ein Amt mit Verantwortung.
FRIEDBERG. Sieglinde Muir hält die unteren beiden Zipfel des Spannbettlakens, Melanie Haus-Greiner zieht oben, während sie sich zum Kopfende des Bettes beugt. Matratze anheben, das Laken über die Matratzenkante streifen, glattziehen. Dann die gleichen Handgriffe am unteren Ende der Matratze. Das Bücken ist dabei für Siegliede Muir wegen eines versteiften Rückenwirbels tabu. Das nimmt ihr Melanie Haus-Greiner als ihre Assistenzkraft ab. Regelmäßig alle zwei Wochen wechseln die beiden Hausgehilfinnen die Bettwäsche in "ihrer" Internats- Wohngruppe an der Johann-Peter-Schäfer-Schule in Friedberg - bei sechs Betten mit Staubsaugen und Putzen drunter und drumherum eine anstrengende Hausarbeit. Noch dazu eine, die ins Kreuz geht. Alleine könnte Sieglinde Muir diesen Job bei ihrem vorgeschädigten Rücken nicht mehr machen.
Aber im Team funktioniert es. "Kannst du mir mal anfassen?" Wenige Worte genügen zwischen den beiden Hausgehilfinnen, nicht nur beim Bettwäschewechsel, sondern auch sonst, wenn sie den Haushalt für die sechs sehbehinderten Internats-Kinder zwischen sieben und fünfzehn Jahren schmeißen. Sie arbeiten Hand in Hand, ergänzen sich in ihren Aufgaben und sagen über sich selbst: "Wir sind ein eingespieltes Team."
Ute Groß, die an diesem Tag am Arbeitsplatz der beiden Hausgehilfinnen vorbeischaut, nickt zustimmend. Als gewählte Vertrauensperson der schwerbehinderten Beschäftigten an den beiden Friedberger Förderschulen des LWV war sie von Anfang an in das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) von Sieglinde Muir einbezogen. Für die damals 54-Jährige ging es nach einer Rückenoperation und längerer Arbeitsunfähigkeit um schwerwiegende Fragen wie: "Kann ich meinen Arbeitsplatz behalten?" - "Welche Möglichkeiten gibt es, trotz gesundheitlicher Einschränkungen die bisherige Arbeit weiter ausüben zu können?" "Das war 2014, im Rahmen des BEM-Gesprächs", erinnert sich Ute Groß. Schnell war klar: "Alle Seiten hatten den Wunsch, dass Frau Muir auf ihrem Arbeitsplatz bleibt."
An den Lösungen, die schließlich gefunden wurden, hatte die Schwerbehindertenvertreterin wesentlichen Anteil. In Zusammenarbeit mit dem LWV Hessen Integrationsamt wurde Sieglinde Muirs Arbeitsumfeld möglichst rückenfreundlich umgestaltet: Die Waschmaschine kam auf ein Podest und ein rollender Wäschewagen machte das Schleppen schwerer Körbe überflüssig. Zusätzlich schlug Ute Groß eine Arbeitsassistenz im Rahmen der "Begleitenden Hilfe im Arbeitsleben" vor - eine Unterstützungsleistung nach dem neunten Sozialgesetzbuch, die das Integrationsamt übernimmt. Eine 40-Prozent-Stelle wurde ausgeschrieben. Die Familienmutter Melanie Haus-Greiner bewarb sich und bekam den Job. Seit vier Jahren arbeiten Sieglinde Muir und ihre Assistenzkraft inzwischen zusammen und sind ziemlich beste Arbeitskolleginnen geworden. Diejenige, die sich darüber mit am meisten freut, ist Ute Groß.
"Der Kontakt mit ganz verschiedenen Menschen, die zu mir kommen, denen ich zuhöre und für die ich versuche, etwas zu erreichen", das ist es, was für Ute Groß den Reiz und vor allem den Sinn dieses "sehr, sehr abwechslungsreichen Jobs" ausmacht. 2008 wurde sie von den schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten Beschäftigten der Johann-Peter-Schäfer-Schule (JPSS) und der Johannes-Vatter-Schule (JVS) in Friedberg erstmals ins Amt der örtlichen Vertrauensperson gewählt.
Während sie mit 39 Stunden weiterhin als Erzieherin in einer Wohngruppe der JPSS arbeitete, besuchte Ute Groß die Grund- und später Aufbaukurse des Integrationsamtes zum Schwerbehindertenrecht und den Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung. "Ich musste mir erstmal das notwendige Fachwissen für so ein verantwortungsvolles Amt aneignen", erinnert sie sich und zählt auf: "Das neunte Sozialgesetzbuch, die Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung, das Personalvertretungsgesetz, das Kündigungsschutzgesetz, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und so weiter."
Schnell war klar, dass die Aufgabe einer Vertrauensperson der schwerbehinderten Beschäftigten einen vollen Terminkalender mit sich bringt: BEM-Gespräche, Teilnahme an Bewerbungsverfahren bei Stellenbesetzungen, an Sitzungen des Personalrates und der Arbeitskreise für Arbeitssicherheit und Gesundheit. Dazu die Treffen mit dem betrieblichen Integrationsteam, die Kontaktaufnahmen zum Betriebsarzt, dem Integrationsamt, der Agentur für Arbeit, dem Integrationsfachdienst. Und - was ihr besonders wichtig ist - Sprechzeiten für die schwerbehinderten Menschen und die Besuche an deren Arbeitsplätzen, nebst zugehöriger Beratung und das Stellen von Anträgen für gewünschte Verbesserungen.
"Man braucht schon Organisationstalent. Und man muss verhandeln und seinen Standpunkt gut vertreten können." Schließlich liegt es Ute Groß am Herzen, für die schwerbehinderten Beschäftigten etwas zu erreichen. So hat sie dafür gesorgt, dass für eine gehörlose Kollegin ein Alarmknopf an deren Arbeitsplatz im Nähraum der Johann-Peter-Schäfer-Schule installiert wurde, der im Falle eines Falles grell blinkt. "Den Feueralarm hört sie ja nicht." Für Axel Fritsch, den hörbehinderten Leiter des Schülerheimes der Johannes-Vatter-Schule, realisierte sie eine schallisolierende Ausstattung mit speziellen Deckenplatten und dämpfendem Fußbodenbelag für dessen Büro. Als nächstes Projekt steht im Wohnheim der Johann-Peter-Schäfer-Schule der Einbau eines Aufzuges vom Erdgeschoss in den Keller an. "Eine schwerbehinderte Kollegin kann die schweren Wäschesäcke nicht mehr schleppen. Und so ein Aufzug kommt präventiv ja allen zugute."
Weil sie schon als örtliche Vertrauensperson eingespannt war, kam Ute Groß ins Grübeln, als der Gesamtpersonalrat in 2014 an sie herantrat. Die vakante Stelle der Gesamtschwerbehindertenvertretung (GSBV) war zu besetzen. "Am Anfang habe ich gedacht, na, ob dir das nicht über den Kopf wächst", erinnert sie sich. Ist es nicht! Seit viereinhalb Jahren vertritt Ute Groß die schwerbehinderten Kolleginnen und Kollegen in allen Angelegenheiten, die den gesamten LWV betreffen - inklusive der Schulstandorte. Außerdem ist sie für alle Dienststellen zuständig, in denen keine Schwerbehindertenvertretungen gewählt wurden. Zu 75 Prozent ihrer Arbeitszeit ist die 59-Jährige für diese Aufgaben freigestellt. Im Dezember 2018 wurde Ute Groß von den frisch gewählten Vertrauensleuten der einzelnen Standorte zum zweiten Mal in ihrem Amt als GSBV bestätigt.
"Viel mehr Papierkram" und häufiges Hin- und Herreisen zwischen den Standorten des LWV sind für Ute Groß durch den GSBV-Job dazugekommen. Auch die Schreibtischarbeit sei mehr geworden, unter anderem, weil die Barrierefreiheit - ob räumlich oder am Computer - inzwischen ein großes Thema ist. Ein Beispiel: "Ich muss Stellungnahmen für Software-Programme abgeben und mich vorher darüber schlau machen", so die 59-jährige. "Sehr, sehr oft" fahre sie von Friedberg zu Terminen und Sitzungen nach Kassel, in die Hauptverwaltung. "Durch das Bundesteilhabegesetz hat sich viel verändert und wird sich weiter ändern. Das BTHG hat unter anderem die Stellung der Schwerbehindertenvertretungen in den Unternehmen weiter gestärkt." Das freut die 59-Jährige, die sich in ihrem doppelten Engagement als örtliche Vertrauensfrau und Gesamtschwerbehindertenvertreterin bestätigt sieht. Zudem ist sie im örtlichen Personalrat vertreten. "Manchmal", sagt Ute Groß mit einem Grinsen auf den Lippen, "muss ich selbst erstmal überlegen, welche Rolle ich jetzt hier in dieser Situation gerade habe."
Petra Schaumburg-Reis
"SIE ZEIGEN ALLTÄGLICH, WAS SIE LEISTEN"
Die hohe Beschäftigungsquote schwerbehinderter Menschen hat für den LWV als Arbeitgeber "einen großen Stellenwert, denn zusammen arbeiten ist gelebte Inklusion", sagt Landesdirektorin Susanne Selbert. "Unsere 249 schwerbehinderten Kolleginnen und Kollegen zeigen alltäglich, was sie leisten, egal, wo und in welchen Funktionen sie ihre Frau oder ihren Mann stehen."
Diese Erfahrung wolle der LWV an andere Arbeitgeber weitergeben. "Wir möchten, dass noch viel mehr behinderte Menschen auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen", so die Landesdirektorin. In der Erfüllung der Quote sieht sie eine Win-win-Situation: Behinderte Menschen würden - neben dem reinen Geldverdienen - Anerkennung und Teilhabe am Arbeitsleben erfahren, die Betriebe von einem vorurteilsfreieren Umgang der Beschäftigten untereinander und einem wertschätzenden Arbeitsklima durch Diversity (Vielfalt in der Arbeitswelt) profitieren.
Bereits 2001 hat sich der LWV verpflichtet, die gesetzlich festgelegte Beschäftigungsquote von fünf Prozent zu übertreffen. Seit 2012 liegt sie kontinuierlich bei über 16 Prozent und hat in 2018 mit 17,64 Prozent den bisher höchsten Wert erreicht. Zu den Standorten, die zu dieser hohen Quote beitragen, zählen die Verwaltungen in Kassel, Darmstadt und Wiesbaden sowie die Verwaltungen der Förderschulen, die Frühförderstellen und die Stiftungsforsten des LWV Hessen.
JUNGE MENSCHEN MIT BEHINDERUNG AUSBILDEN
Großen Wert legt der LWV auf die Qualifizierung junger schwerbehinderter Menschen. Aktuell werden acht schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte junge Menschen in den Verwaltungen des LWV ausgebildet. Eine schwerbehinderte und eine gleichgestellte Nachwuchskraft werden im Sommer die Ausbildung abschließen und eine Stelle beim LWV antreten. Auch vier Betriebsintegrierte Beschäftigungsplätze (BiB) unterhält der LWV. Ziel dieser BiB ist es, dass Beschäftigte aus einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) mittelfristig in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis übernommen werden. Zunächst arbeiten sie einige Jahre lang weitgehend selbstständig bei einem Arbeitgeber des allgemeinen Arbeitsmarktes und werden dabei intensiv von einer Werkstatt für behinderte Menschen betreut. Sie sind dort zunächst auch offiziell beschäftigt, bevor sie eine Stelle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt antreten.
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AUFGABEN DER GESAMTSCHWERBEHINDERTENVERTRETUNG
Gesamtschwerbehindertenvertretungen (GSBV) setzen sich für die Interessen der schwerbehinderten Beschäftigten ein, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe oder Dienststellen eines Arbeitgebers betreffen. Dabei geht es um Fragen wie den Arbeits- und Gesundheitsschutz, um Dienstvereinbarungen, Inklusionsvereinbarungen, den Einsatz neuer Software, Datenschutz und die Mitarbeit im Gesamtpersonalrat und in verschiedenen Arbeitskreisen. Auch beim LWV ist das ein breites Aufgabenspektrum. Um das Pensum bewältigen zu können, kann Ute Groß als GSBV-Vertrauensperson auf ihren ersten Stellvertreter Murat Özcan (Regionalverwaltung Darmstadt) und ihre zweite Stellvertreterin Cornelia Marwede (Haupt- und Regionalverwaltung Kassel) zurückgreifen. Das Dreier-Team vertritt sich in Urlaubs- und Verhinderungsfällen gegenseitig und trifft sich regelmäßig zum Austausch. Dabei kann Ute Groß, die ihre zweite Amtszeit angetreten hat, ihren beiden im Dezember 2018 neu gewählten Stellvertretungen den ein oder anderen wertvollen Tipp an die Hand geben.
Übrigens: Eine GSBV ist den örtlichen Schwerbehindertenvertretungen rechtlich nicht übergeordnet. Und die Vertrauensperson der (Gesamt-)Schwerbehindertenvertretung muss nicht selbst schwerbehindert sein. Es genügt, wenn ein Wahlberechtigter den nicht schwerbehinderten Interessenten für das Amt der (Gesamt-)Schwerbehindertenvertretung oder des Stellvertreters vorschlägt.
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